Schafft Deutschland bis 2030 etwa 65 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen? Was passieren muss, untersuchte der Bundesverband Erneuerbare Energien e. V.
Im Koalitionsvertrag legte die Bundesregierung Klimaschutzziele fest. So sollen bis 2030 etwa 65 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien e. V. (BEE) hat nun ein eigenes Szenario ausgearbeitet, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Laut BEE ist es unerlässlich, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, deutliche Fortschritte bei der Energieeffizienz zu erzielen sowie die Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie zu koppeln.

Der Jahrhundertsommer 2018 sorgte für reichlich Strom aus Photovoltaik-Anlagen. (Bild Pixabay)
Anteil erneuerbarer Energie steigt weiter
2018 stieg der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch auf 37,8 Prozent, das sind rund 226 Milliarden Kilowattstunden. 2017 waren es noch 36 Prozent. Ein Rekordsommer sorgte im zurückliegenden Jahr für viel Strom aus Photovoltaikanlagen, aber auch die Stromerzeugung aus Windenergieanlagen legte weiter zu. Hinzu kam ein milder Winter mit entsprechend niedrigeren Verbräuchen. Wind ist und bleibt weiterhin die bedeutendste regenerative Energiequelle.
Wieviel Strom wird 2030 verbraucht?
Um 65 Prozent erneuerbare Energien zu erreichen, müssen Experten den Bruttostromverbrauch im Jahre 2030 schon jetzt möglichst genau ermitteln. Der BEE geht in seinem Szenario davon aus, dass Stromeinsparungen und Effizienzmaßnahmen durch zusätzliche Stromverbräuche für Wärmepumpen, Elektromobilität und Power-to-Gas– bzw. Power-to-Liquid-Anlagen deutlich überkompensiert werden. In den Berechnungen des BEE steigt der Stromverbrauch daher bis 2030 auf 740 Terawattstunden.

Auch der Ausbau der Elektromobilität wird den Stromverbrauch in die Höhe treiben: 2025 sollen fast ein Drittel der in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeuge E-Autos sein. (Bild: Energiedienst / Juri Junkov)
Das sind deutlich mehr als die 590 Terawattstunden, die die Übertragungsnetzbetreiber in ihrem Szenario B des Netzentwicklungsplans 2030 angeben. 65 Prozent der vom BEE genannten 740 Terawattstunden entsprechen 481 Terawattstunden, die erneuerbare Energien liefern müssen. Dazu sei eine jährliche Installation notwendig von:
• 4.700 Megawatt Windenergie auf Land (Onshore),
• 1.000 Megawatt Windenergie auf See (Offshore),
• 10.000 Megawatt Photovoltaik,
• 600 Megawatt Bioenergie,
• 50 Megawatt Wasserkraft und
• 50 Megawatt Geothermie.
Mehrverbrauch übersteigt Einsparungen
Die Berechnungen des BEE berücksichtigen die jeweiligen Sektorenziele des Klimaschutzplans der Bundesregierung für das Jahr 2030. Im BEE-Szenario stehen Einsparungen von 65 Terawattstunden durch Effizienzerfolge und niedrigere Kraftwerksverbräuche insgesamt 206 Terawattstunden Mehrverbrauch im Kontext der Sektorenkopplung gegenüber. Davon entfallen auf Wärmepumpen 33 Terawattstunden, auf Elektromobilität 68 Terawattstunden sowie auf Power-to-Gas- bzw. Power-to-Liquid-Anlagen 105 Terawattstunden. Dementsprechend steigt der Bruttostromverbrauch um 141 Terawattstunden auf 740 Terawattstunden bis 2030.
Ausbau der Windenergie stockt
Das 65-Prozent-Ziel ist erreichbar, aber es ist noch ein weiter Weg. Ausgerechnet der Ausbau der Windenergie ist in diesem Jahr ins Stocken geraten. An Land werden so wenig neue Windräder errichtet wie lange nicht mehr. Die überregionale Tageszeitung „Die Welt“ sieht als Ursache für den starken Rückgang die Ausschreibungen und Zuschläge im Jahr 2017. „In dem Jahr gingen mehr als 90 Prozent aller Förderzusagen an Bürger-Windprojekte, die emissionsrechtlich noch nicht genehmigt waren. Viele dieser Windparks, die eine gesetzliche Vorzugsbehandlung gegenüber professionellen Investoren genießen, werden voraussichtlich nicht gebaut. Von den 2.688 Megawatt Leistung, die auf diese Weise einen Zuschlag erhielten, hatten bis April erst 167 Megawatt eine Genehmigung, sodass sie überhaupt in Angriff genommen werden können. Von 730 Anlagen, die 2017 einen Zuschlag erhielten, sind erst 35 am Netz.“

Der Ausbau der Windenergie will 2019 nicht in Fahrt kommen. (Bild: Pixabay)
In der jüngsten Ausbaurunde wollte die Bundenetzagentur Projekte mit einer Gesamtleistung von 650 Megawatt genehmigen, Angebote gab es jedoch nur für 270 Megawatt. Die Bundesnetzagentur spricht von einer „besorgniserregenden Dimension“. Hinzu kommen zahlreiche Klagen, die den Bau von Windrädern verzögern. Zudem fallen ab 2020 viele ältere Windräder aus der Förderung und sind dann nicht mehr wirtschaftlich.
65 Prozent erneuerbare Energien erfordert energiepolitischen Leerlauf zu beenden
Der BEE mahnt daher bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien an. „Der Schalter muss sofort umgelegt und der Ausbau der Erneuerbaren wieder beschleunigt werden“, sagt Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien.

Nur mit einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien ist das 65-Prozent-Ziel noch zu schaffen. (Bild: Pixabay)
„Unter Beibehalt der derzeitigen rechtlichen Gegebenheiten, die keine klaren Perspektiven für Planung und Investitionen bieten, wird Deutschland seinen Bruttostromverbrauch nur zu 44 Prozent aus Erneuerbaren Energien abdecken – mit negativen Implikationen für den Klimaschutz und für die innovative Erneuerbare-Energien-Industrie mit ihren zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und ihrer enormen regionalen Wertschöpfung“, so Peter.

Diplom-Physiker Ingo Fleuchaus macht mit seiner PR-Agentur textdirekt seit mehr als zehn Jahren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Kunden aus der Energiebranche. Die Schwerpunkte bilden Themen aus den Bereichen Energieversorgung, Erneuerbare Energien, Elektromobilität und Forschung.
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Mir gefällt die Aussage „energiepolitischer Leerlauf“. Die Herausforderung solche Ziele zu erreichen benötigen ein solidarisches Miteinander und weg vom Mandatsdenken unserer Politiker. E-Mobility wird nur funktionieren wenn man den Blick auf den vollständigen „GRID“ intellektuell erfassen kann. Daran scheitern viele studierte und nichtstudierte Politiker.
Guten Tag Herr Fleuchaus!
Zunächst vielen Dank für den aufklärenden Artikel. Was sind aus Ihrer Sicht die Lösungsansätze, um die Ziele zu erreichen? Klar, Windenergie gilt als Nr. 1 der regenerativen Energien. Aber vielleicht macht es gerade wegen der rechtlichen Barrieren Sinn, auf Alternativen umzusteigen? Und können die 65 Prozent auch ohne eine erhebliche Effizienzsteigerung der Langzeitspreichertechnologie erreicht werden?
Über Ergänzungen in Ihrem Artikel würde ich mich freuen. Danke für Ihre Expertenmeinung.
Beste Grüße
Simon
Hallo Simon,
ich befürchte, es gibt keine einfachen Lösungsansätze. Eine Steigerung der Energieeffizienz und die Sektorenkopplung sind unerlässlich, werden aber nicht ausreichen. Vielleicht könnte auch das Thema Erdwärme zunehmend interessant werden. Neue Langzeitspeichertechnologien zeichnen sich ebenfalls ab. Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht neue „Super-Batterien“, „Thermische Energiespeicher“, „Salz-oder Luftspeicher“ vermeldet werden. Ihre Alltagstauglichkeit müssen diese allerdings erst noch beweisen.
Viele Grüße
Ingo Fleuchaus