Wenn sich die Gurke mit dem Solarmodul das Beet teilt
Fruchtbarer Boden ist ein knappes Gut. Doch wo einst Gurken und Kartoffeln sprossen, stehen immer häufiger Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Energie statt Gemüse lautet die Devise. Die Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutzflächen ist bei der Erzeugung von Biokraftstoffen ein hinlänglich bekanntes Problem. Bei der Photovoltaik hört man dies eher selten. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE will diesen Konflikt nun entschärfen, zumindest bei der Nutzung der Solarenergie mittels Freiflächenanlagen. Dazu habe die Freiburger Wissenschaftler mit der Agrophotovoltaik eine frühe Idee ihres Institutsgründers Adolf Goetzberger aufgegriffen und erproben diese nun in der Praxis.
Konzept einer Agrophotovoltaik-Anlage (Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE)
Doppelte Ernte im Stockwerbetrieb
Das Konzept ist so bestechend wie einfach: Landbau und Solarstromerzeugung werden auf derselben Fläche kombiniert – doppelte Ernte auf zwei Ebenen. Unten das Gemüse, oben die Solarmodule. Bestimmte Feldfrüchte, wie etwa Kartoffeln oder Salat wachsen nach ersten Studien des Fraunhofer ISE mit verringerter Sonneneinstrahlung sogar besser. Möglicherweise verhindert die Verschattung durch die Module bei einigen Pflanzen Schäden, die durch hohe Temperaturen und Einstrahlung bedingt sind. Ein gezieltes Lichtmanagement optimiert die Erträge von Acker und Kraftwerk. Grundsätzlich sind zeitlich gemittelt gleichmäßige Einstrahlungsverhältnisse unter den Solarmodulen möglich. In einem nächsten Schritt könnten Hagelschutz und Photovoltaik vereint werden.
Modellregion für Pilotprojekt gefunden
In der Region Bodensee-Oberschwaben soll die Agrophotovoltaik nun auf einem Versuchsfeld auf dem Demeter-Hofgut Heggelbach in der Gemeinde Herdwangen-Schönach erprobt werden. In einer Höhe von rund 5,50 Metern werden in den kommenden Wochen Module für eine 190 kWp leistungsstarke Agrophotovoltaik-Anlage aufgeständert. Die Größe der Ackerfläche darunter entspricht ungefähr zwei Drittel eines Fußballfeldes und kann auch mit sehr breiten Landmaschinen bearbeitet werden. Der erzeugte Strom wird weitgehend auf dem Hof verbraucht, der Rest ins Netz eingespeist. Die Eröffnung der Anlage ist für Mitte September vorgesehen.
Simulation und Realität
Das Lichtmanagement für das Versuchsfeld wurde in zahlreichen Simulationen im Fraunhofer ISE durchgespielt. Die Module werden nicht direkt nach Süden ausgerichtet, sondern leicht nach Südwest und Südost geneigt. Die Ausrichtung der Module beeinflusst maßgeblich die Gleichmäßigkeit der für die Pflanzen verfügbaren Strahlung. Dies ist wichtig, damit die Pflanzen gleichmäßig reifen. Für jede Vegetationsperiode haben die Forscher überdies die optimalen Abstände der Modulreihen ermittelt. Es muss genügend Regen auf dem Boden ankommen und sich dort gleichmäßig verteilen können. Zudem dürfen die Solarelemente nicht zu viel Schatten werfen. Neben dem Versuchsfeld wird auf demselben Acker ein Vergleichsfeld mit den gleichen Pflanzen, bewirtschaftet, aber ohne Photovoltaikanlage. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.
Lebensmittel oder Energie
Aufgrund der sinkenden Photovoltaik-Systemkosten wird die Konkurrenz um die Landnutzung zunehmen, denn bei Stromgestehungskosten von deutlich unter 10 Cent je Kilowattstunde sind Photovoltaik-Freiflächenanlagen eine gute Einnahmequelle. Die Agrophotovoltaik hat das Potenzial, den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Energieerzeugung beizulegen. Sie verspricht eine doppelte Ernte. So kann der Anteil der erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden.
Ausbau der erneuerbaren Energien
Im Bodenseekreis trugen die erneuerbaren Energien 2013 lediglich 12 Prozent zur Erzeugung des dort verbrauchten Stroms bei. Das ist wenig, gemessen am Bundesdurchschnitt von 25,5 Prozent. Windkraftanlagen sind in der Modellregion sehr umstritten, da sie den Panoramablick auf die Alpen stören und das Biogaspotenzial ist aufgrund der Obst- und Hopfenanbaugebiete gering. Die Agrophotovoltaik bietet hier einen zukunftsträchtigen Ausweg.
Eine Technik mit Potenzial
Das Fraunhofer ISE ermittelte als technisches Potenzial für die Agrophotovoltaik in Deutschland eine Fläche von 60.000 bis 120.000 Hektar (25 bis 50 GWp), die sowohl zur Energieerzeugung als auch zur Nahrungsmittelproduktion verwendet werden könnte. Ende 2014 waren deutschlandweit
PV-Anlagen mit einer Nennleistung von knapp 39 GWp installiert, etwa 9 GWp davon auf Acker- und Konversionsflächen.
Bei Fraunhofer ISE denkt man bereits an weitere Anwendungen der Agrophotovoltaik, etwa im Obst-, Wein- oder Hopfenanbau. Die Agrophotovoltaik ist aber auch für besonders niederschlagsarme Gebiete interessant. Sie könnte etwa in Ägypten Dieselgeneratoren ersetzen und Energie für Wasseraufbereitungs- und Verteilungssysteme zur Verfügung stellen.
Diplom-Physiker Ingo Fleuchaus macht mit seiner PR-Agentur textdirekt seit mehr als zehn Jahren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Kunden aus der Energiebranche. Die Schwerpunkte bilden Themen aus den Bereichen Energieversorgung, Erneuerbare Energien, Elektromobilität und Forschung.
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