Deutschland belegt den dritten Platz bei den am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern laut Germanwatch. Klimaforscher Prof. Dr. Uwe Schneidewind im Interview über Stillstand, Chancen und Preisanreize.
Ist der Klimawandel wirklich so schlimm, wie er in den Medien dargestellt wird?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Es ist schon schlimm. Es gibt einen hohen Konsens der Klimawissenschaft und der gesamten Erdsystemforschung, dass wir bei einer ganzen Reihe an Faktoren an so genannten Kipppunkten angekommen sind. Ich glaube, andere Meinungen, die sich mit den Erkenntnissen der führenden Klimawissenschaftler nicht decken, sind da eher in der Minderheit. Da muss man sich genau anschauen, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage solche Meldungen basieren.
„Seit 1990, seitdem wir das Problem klar vor uns sehen, haben sich die CO2-Emissionen nicht reduziert, sondern fast verdoppelt“

Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie
Finden Sie, dass schon genug über eine mögliche Klimakatastrophe geredet wird? Und wird auch schon genug dagegen gemacht?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Reden ist nicht das Problem. Wir reden ja schon seit 30 Jahren sehr klug über das Thema: Viele dieser Klimaphänomene und Zusammenhänge sind seit 30 Jahren gut beschrieben und erfasst. Allerdings hat dies nicht zu einer Entwarnung geführt, sondern das Thema ist immer brisanter geworden. Das Problem ist, dass es uns bisher nicht gelungen ist, zu einer systematischen Umsteuerung zu kommen. Seit 1990, seitdem wir das Problem klar vor uns sehen, haben sich die CO2-Emissionen nicht reduziert, sondern fast verdoppelt. Das macht das riesige Handlungsdefizit gut deutlich.

Trotz jahrzehntelanger Diskussion ist es nicht gelungen, grundlegend etwas gegen den Klimawandel zu tun. Foto: Nicola/Adobe Stock
Das Ozonloch ist dagegen geschrumpft.
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Das hängt damit zusammen, dass man in den 80er-Jahren sehr systematisch den Einsatz Ozonschicht-zerstörender FCKWs verboten hat. Das war eine sehr radikale Maßnahme, weil es damals schon entsprechende Ersatzstoffe gab. Das hat zu einer Wiederherstellung der Ozonschicht in den betroffenen Bereichen geführt.
Ist in Ihren Augen das Klima mit solchen radikalen Maßnahmen auch noch zu retten?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Das Klima retten, klingt immer sehr abstrakt. Konkret sind abschmelzende Polkappen, der damit verbundene steigende Meeresspiegel oder die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes die großen Gefahren, die zu massiven ökologischen Veränderungen führen. Das Problem, das damit einhergeht, ist, dass diese Veränderungen dann eine Geschwindigkeit annehmen, die insbesondere den ärmsten Menschen auf der Welt, kaum eine Anpassung ermöglicht. Das, was droht, ist das Entziehen der Lebensgrundlage, für hunderte von Millionen, vielleicht sogar für eine Milliarde von Menschen, die von Extremwetterlagen betroffen sind. Das ist das, um das es eigentlich geht, nicht das Klima an sich.
„Was wir hier vor uns haben, ist eine der faszinierendsten, aber gleichzeitig auch schwierigsten Zivilisationsherausforderungen der Menschheit“
Was kann jeder Einzelne tun und was muss die Politik tun, damit es nicht so weit kommt?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind (lacht): Das ist eine schön einfache Frage, aber die Antwort ist eine Herausforderung. Der Klimawandel ist ein globales Problem, das heißt, wir brauchen globale Lösungen, globale CO2-Ziele. Die entstehen aber nicht einfach so: Wir haben Länder und Staaten, die bei den globalen Klimaverhandlungen sehr zurückhaltend sind. Umso wichtiger sind kraftvolle Vorreiter-Allianzen, also Staaten, die mit großen Ambitionen Ziele einhalten und Wege aufzeigen, wie eine klimagerechte Wirtschaft aussehen kann, und die sich auch von den anderen kopieren lassen. Das braucht engagierte Politik als Rahmensetzung, innovative Unternehmen, die in diesem Rahmen agieren und neue Geschäftsmodelle und gute technologische Lösungen entwickeln, und einen Verbraucher, der sich auf eine klimagerechte Lebensweise, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität und Ernährung, zunehmend und gerne einlässt. Das Problem ist also nur durch ein kluges Zusammenspiel auf all diesen Ebenen zu lösen. Was wir hier vor uns haben, ist eine der faszinierendsten, aber gleichzeitig auch schwierigsten Zivilisationsherausforderungen der Menschheit.
„Dieser Umbau hin zu einer lebensgerechten und ökologischen Welt ist ein Milliardenmarkt“
Sie haben gerade erwähnt, dass es auch neue Geschäftsmodelle von innovativen Unternehmen braucht. Ist der drohende Klimakollaps vielleicht auch eine Chance? Der Mensch handelt ja oft erst, wenn ihn etwas direkt betrifft.
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Je mehr die Probleme bei uns ankommen, wie die Ernteausfälle oder die Hitzesommer, desto mehr Leute fangen an zu handeln. Und ja, natürlich ist der Klimawandel auch eine Chance, das merken wir beispielsweise an der Mobilitätswende. Die Chinesen erkennen plötzlich, dass sie Weltmarktführer bei den Automobilherstellern werden können. Das wäre ihnen bei den Verbrennungsmotoren sehr schwer gefallen. Bei der Elektromobilität ist viel Musik drin.
In vielen Umwelttechnikbereichen sind wir auch in Deutschland weltweit führend. Dieser Umbau hin zu einer lebensgerechten und ökologischen Welt ist ein Milliardenmarkt. Da entstehen so viele Chancen. Viele Unternehmen haben dies auch erkannt und sind zum Teil auch schon weiter, als es sich in der Politik widerspiegelt. Gleichzeitig gibt es Branchen, die ihr Geld weiterhin mit Erdöl und großen Autos verdienen, die einen hohen Anreiz haben, diesen Fortschritt aus ökonomischen Gründen noch ein bisschen zu verzögern. Das sind ganz normale Ablösungskämpfe.

Die Klimakrise bietet auch Chancen, wie zum Beispiel bei der Mobilitätswende. Foto: wellphoto/shutterstock
Wie sieht Ihre persönliche Klima-CO2-Bilanz aus?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind (überlegt): So ungefähr wie der Durchschnitt. Ich könnte jetzt ein paar nette Sachen aufzählen, bei denen ich besonders vorbildlich bin, aber wir wissen aus empirischen Studien, dass der CO2-Ausstoß weitgehend mit dem Einkommen korreliert. Das bedeutet, an einigen Stellen ist man also ökologischer als der Durchschnitt und an anderen Stellen gerade nicht. Das macht deutlich: Das Problem lässt sich nicht alleine auf einer rein individuellen Ebene, also durch Anpassung des Konsumverhaltens, lösen. Wir brauchen kluge politische Begleitung. Die Welt wird nicht gerettet, wenn sich nur der Konsument alleine verändert. Dieses Denken ist gnadenlos naiv.
„Nichts ist stabiler als die Infrastrukturen in unseren Köpfen“
Also reicht es nicht, wenn ich erst einmal bei mir selbst anfange?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Es müssen auch die Randbedingungen dafür geschaffen werden. Sie werden Menschen nicht dazu bringen, mehr Rad zu fahren und auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, wenn das weiterhin, so wie wir unsere Städte planen, lebensgefährlich ist. Um dem Verbraucher eine vegetarische Ernährung schmackhaft zu machen, braucht es eine gewisse Auswahl. Denn unsere Ernährungsgewohnheiten sind tief verwurzelt. Nichts ist stabiler als die Infrastrukturen in unseren Köpfen, in denen wir gefangen sind. Sich selbst zu verändern, ist eine der größten Herausforderungen und sehr viel schwieriger als irgendwelche Technologien auszuwechseln. Es wird immer wieder verkannt, wie herausfordernd solche Prozesse sind.
Um die ökologisch sinnvollen Prozesse in Gang zu bringen oder anzukurbeln, muss ich diese beispielsweise mit Preissignalen unterstützen. Das was ökologisch sinnvoller ist, muss günstiger sein. Wenn ein Flug fünfmal so teuer wäre wie eine Bahnfahrt, würde ich mir sehr gut überlegen, ob ich innerhalb Deutschlands überhaupt fliegen muss. Diese fehlenden oder auch falschen Preissignale sind ein großes Problem. Es wird immer die Situation geben, dass sich nicht alle gewisse Dinge leisten können. Wichtig ist aber, dass sich jeder leisten kann, ein gutes Leben zu führen. Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten dann beispielsweise: Ist ein Neuseeland-Flug essentiell für ein gutes Leben? Wie viel Ungleichheit wollen wir in unserer Gesellschaft zulassen?
„Das was ökologisch sinnvoller ist, muss günstiger sein“
Was halten Sie von „Fridays for Future“? War diese Bewegung schon lange überfällig?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Das ist eine hervorragende Bewegung, die aufzeigt, welche Intensität in diesem Thema liegt. Junge Menschen, die noch 60 bis 70 Jahre Leben vor sich haben, machen deutlich, dass sie nicht in einer Welt leben wollen, in der einer der größten humanistischen Katastrophen der Menschheit stattfindet, und es vielleicht nur ertragen müssen, weil Menschen, die noch zehn Jahre zu leben haben, nicht auf ihren SUV verzichten möchten.
Daraus entstehen eine glaubwürdige Perspektive und eine Klarheit, was auf diesen Planeten zukommt und womit man in der Zukunft konfrontiert wird. Es wird zu Recht eingefordert, dass jetzt Handlungen passieren. Man sieht ja, welche durchschlagende Kraft diese Bewegung hat. Das war das Beste, was der Klimadebatte passieren konnte. Man kann nur hoffen, dass der nächste Klimastreiktag den bisherigen noch einmal in den Schatten stellt, um deutlich zu machen, dass mit diesem homöopathischen Klimapaket, das die Bundesregierung abgeschlossen hat, nicht durchzukommen ist.

Der Klimawandel droht Millionen von Menschen, die Lebensgrundlage zu entziehen. Foto: S. Piyaset/Adobe Stock
In Italien soll es künftig ein Schulfach mit dem Titel „Klimawandel und nachhaltige Entwicklung“ geben. Würden Sie das auch hierzulande für sinnvoll erachten?
Prof. Dr. Uwe Schneidewind: Das ist auf jeden Fall interessant, allerdings die Frage, was man in die Curricula einführt, ein herausforderndes Feld. Nichts ist schlimmer für einen geordneten und guten Schulbetrieb, als wenn jedes Jahr Forderungen nach neuen Fächern entstehen. Der Klimawandel ist ja jetzt schon in vielen Schulen ein wichtiges Thema – in den Naturwissenschaften, in Erdkunde oder Ökonomie, zum Teil auch in Englisch, Deutsch oder Literatur. Mit den jetzigen Lehrplänen hat man ausreichend Möglichkeiten, dem Thema Raum zu geben. Wenn sich das dann mit den außerschulischen Möglichkeiten paart, wie dem Organisieren eines Klimastreiks, dann ist das das beste Lernprogramm, das Schülerinnen und Schülern passieren kann. Die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen von Fridays for Future schult fürs Leben. Man braucht also nicht unbedingt ein neues Fach. Ich finde es trotzdem spannend, dass Italien das ausprobiert. Man wird dann ja sehen, welche Effekte das hat.

Simone Zettier arbeitet als Autorin für diverse Magazine, Webredaktionen und Zeitungen. Die begeisterte Tennisspielerin mit unbändiger Reiselust studierte an der TU Dortmund Journalistik und Amerikanistik und legte ein Auslandssemester an der University of New Orleans/Louisiana ein.
Wahre Wort! Ich denke in der heutigen Zeit muss JEDER etwas tun, nicht nur immer der kleine Mann. Was nützt es, wenn er ein Elektroauto fährt oder ein energiesparendes Fertighaus baut, wenn Energie selbst zum Beispiel immer noch so umweltunfreundlich gewonnen wird. Gerade bei der Energiegewinnung muss viel verbessert werden.
Ich meine, dass insbesondere die „Erziehung“ der Nachkommen zu verantwortungsvollerem Konsum durch Vorbild der Eltern-und Älterengeneration mit ein wesentlicher Beitrag zum Respekt vor Resourcen darstellen kann. Dazu braucht es genügend Zeit zur Reflexion, Diskussion und Entscheidungsfindung, was das Individuum für ein sinnvolles, zufriedenes oder gar glückliches Leben benötigt. „Umweltfreundlichkeit“ braucht „Menschenfreundlichkeit“- dann brauchen wir nicht soviel „Ersatzbefriedigung“ durch unnötigen Konsum. Schlussendlich sollte das „Diktat der Umsatzsteigerung“ als „Nachweis“ für steigenden Wohlstand viel kritischer diskutiert werden. In unseren Breitengraden haben wir meiner Meinung nach ohnehin zu viel Überfluss. Meine praktische Erfahrung ist, dass Weniger oft ein Mehr an Zufriedenheit ist.