Noah hat laut einigen Bibelübersetzungen 120 Jahre an seiner Arche gebaut. 22 Studenten der TU/ecomotive im holländischen Eindhoven benötigten ein Jahr, um Noah, das weltweit erste voll recycelbare Auto, zu erschaffen. Noah konnte mit seiner Arche seine Familie und sich sowie alle Tiere der Welt vor der Sintflut retten. Auch das City-Auto Noah hat das Potenzial, die Welt zu retten.
Ein neues Kapitel in der Autoindustrie
Der Wiederverwertbarkeit gehört die Zukunft. Das haben schon einige Branchen erkannt, beispielsweise die Papier- oder die Bekleidungsindustrie. Die Automobilindustrie gehörte bisher eher nicht dazu. Der Diesel-Skandal könnte dazu beitragen, dies zu ändern.
Und eben auch Noah. „Ich würde unser Auto als eine Revolution bezeichnen, die ein neues Kapitel in der Automobilbranche einleitet“, erklärt Cas Verstappen, einer der Studenten, die Noah kreiert haben und Sprecher von TU/ecomotive. Der 23-jährige und seine studentischen Mitstreiter aus den unterschiedlichsten Studiengängen im Bereich Ingenieurwesen sind sich sicher, dass Autos künftig verstärkt aus biologisch voll abbaubaren Materialien gebaut werden.
„BMW nutzt bereits in einigen Modellen Bambus für ihre Interieurleisten“, weiß Cas Verstappen zu berichten. Noah geht dagegen aufs Ganze: Seine Chassis besteht aus Flachs und Zucker, also nachwachsenden Rohstoffen, die wie ein Sandwich miteinander verbunden werden. Außen die Flachs-Platten und innen der Zucker als Verbundstoff.
Noah wird man allerdings weder auf niederländischen Snelwegen noch auf deutschen Autobahnen sehen – auch künftig nicht. „Wir wollen das Auto nicht auf den Markt bringen. Studenten-Teams sollen in erster Linie eine Vision aufzeigen, was alles möglich ist“, erklärt Verstappen. Und das ist offensichtlich eine ganze Menge. Schließlich sind Noahs Erfinder allesamt noch Studenten, ohne einen Abschluss in der Tasche. „Wozu wären dann erst führende Köpfe in der Automobilbranche mit ihrer Technologie, ihrem Budget und ihrer Erfahrung in der Lage?“, gibt Verstappen zu bedenken.
Studenten müssen sich nicht an den Wünschen der Verbraucher orientieren
Und warum ist das studentische Team der Automobilbranche trotzdem mehr als einen Schritt voraus? „Wir müssen uns als Studenten nicht drauf konzentrieren, was Geld einbringt“, erklärt Verstappen. Und die Studierenden müssen sich auch nicht an den Wünschen der Verbraucher orientieren. Mit ihrer Erfindung liegen die Studenten aber mehr als im Trend. „Circular“ (dt. Kreislauf) gehört zu einem der meist verwendeten Hashtags auf Instagram, was die Mannschaft um Cas Verstappen dazu gebracht hat, das erste voll recycelbare Auto der Welt zu bauen.

Mächtig stolz auf ihr Auto: Die Studenten der hollänischen Universität TU/ecomotive. photo: TU/e, Bart van Overbeeke
Und auch in der Autoindustrie scheint langsam ein Umdenken stattzufinden. „Wir haben mitbekommen, dass die Autoindustrie nach umweltfreundlichen, grünen Alternativen Ausschau hält. Denn auch die Gesellschaft achtet immer mehr auf ihren ökologischen Fußabdruck“, sagt Verstappen. Derzeit sind umweltverträgliche Lösungen allerdings oft noch mit hohen Kosten verbunden, bedeuten häufig weniger Praktikabilität und Komfort. „Die Leute wollen umweltfreundlicher Leben – aber nicht mehr dafür bezahlen“, so Verstappen.
Noah selbst ist eine Maßanfertigung und nicht als Massenfertigung geeignet
Noah selbst wäre unglaublich teuer, es wurde ja nur ein Exemplar gebaut – und das auch noch manuell. Allerdings wurden nur Materialien verwendet, die man lokal anbauen kann. Die Materialkosten sind also vergleichsweise niedrig. Die Transportwege fallen kurz aus.
„Wenn man Maschinen nutzen könnte, würde Noah schätzungsweise zwischen 15.000 und 20.000 Euros kosten“, so Verstappen. „Noah selbst wäre allerdings unmöglich als Massenfertigung. Aber wir träumen davon, dass in ein paar Jahren ähnliche Autos mit ähnlichen Materialien auf der Straße fahren.“ Wenn der Markt bereit ist für Noah und Co.
Umdenken in der Automobilbranche
Bei den führenden Köpfen der Automobilbranche scheint auf jeden Fall ein Umdenken stattzufinden. „BMW, Volkswagen und Renault fanden unsere Idee sehr cool“, sagt Verstappen. 19 von 22 Studenten haben Noah im Sommer im Rahmen einer zweiwöchigen Tour der Öffentlichkeit präsentiert. Dazu reiste die Gruppe in verschiedene europäische Großstädte, darunter Paris, Mailand, Turin, Wolfsburg und München. Sie besuchten Botschaften, Universitäten und große Autofirmen. „Das war schon eine sehr aufregende Zeit für uns“, erinnert Verstappen. „Wir haben vor Ort mit Ingenieuren und Designern über Noah und unsere Vision diskutiert. Einige reagierten sehr enthusiastisch, daher versprechen wir uns einiges von diesen Treffen.“
Viele Nachtschichten mit Noah verbracht
Schließlich steckt in Noah auch einiges an Arbeit und Energie. Die Studenten haben seit September 2017 unzählige Stunden mit Noah verbracht, einige haben sogar ihr Studium für ein Jahr unterbrochen, um sich Noah komplett zu widmen. Zunächst haben sie von September bis Februar das Außendesign mithilfe eines Computermodells konzipiert. Das Äußere erinnert ein wenig an einen Smart und auch die Größe ist vergleichbar, schließlich ist Noah als kleiner und wendiger City-Flitzer angedacht, der sich auch prima fürs Carsharing eignen würde. Von Februar bis April wurden dann die Einzelteile produziert, die dann von April bis Juli – zum Teil in etlichen Nachtschichten – zusammengesetzt wurden. Ende Juli wurde dann die finale Version Noahs der Öffentlichkeit präsentiert.
Keine Straßenzulassung bisher
Eine Straßenzulassung hat Noah bisher noch nicht und musste daher für die Europa-Tour in einem Trailer transportiert werden. Aber die studentischen Erfinder schwärmen von dem besonderen Fahrgefühl bei den bisherigen Testfahrten. „Es fühlt sich außergewöhnlich an, mit Noah zu fahren – ganz anders als in einem normalen Auto. Man fühlt die Erschütterungen und hier und da rumpelt es manchmal etwas“, schildert Cas Verstappen die erste Probefahrt mit Noah. Die Studenten nennen es liebevoll den „Ferrari-Effekt“ – wenn man Noah auf 100 Kilometer beschleunige, fühle es sich an, als würde man mit einem Ferrari 300 Stundenkilometer schnell fahren.
Und genau wie bei einem Ferrari würde Noah alle Blicke auf sich ziehen. Der Beschleunigungs- und der Bremsvorgang funktioniert ähnlich wie bei herkömmlichen Autos, eine Servolenkung gibt es allerdings nicht, das heißt, beim Lenken muss etwas mehr Kraft eingesetzt werden.
Studenten bauen seit Jahren an nachhaltigen Autos
Noah ist übrigens nicht das erste Elekto-Auto, das an der TU/ecomotive im holländischen Eindhoven gebaut wurde, sondern bereits das vierte – alle mit dem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Im vergangenen Jahr schuf eine andere Studenten-Gruppe das biologisch abbaubare Auto „Lina“ aus rein biologischem Verbundmaterial aus Flachs und Zuckerrüben, die allerdings mit Polypropylen vermischt wurden und daher nicht komplett recycelbar war. Vor Lina (2017) gab es noch Nova (2016) und Isa (2015) und nun eben Noah (2018).
Noah ist also das erste voll recycelbare Auto der Welt und das erste „männliche“ Exemplar aus der Schmiede der TU Eindhoven – und ganz sicher nicht das letzte von der Uni aus der nordbrabantischen Stadt, die nicht zuletzt als Zentrum für Technologie und Design bekannt ist. Man darf also gespannt sein, welche Vision das nächste studentische Team 2019 der Öffentlichkeit präsentieren wird. Klar ist schon jetzt – auch diese wird revolutionär sein.
Zahlen und Fakten zu Noah
Fahrzeugtyp: City Auto (ähnlich groß wie ein Smart)
Motor: Elektro
kWh: 11,3
Höchstgeschwindigkeit: 110 Stundenkilometer
PS: 22
Reichweite: 240 Kilometer
Schaltung: Zwei Gänge (Smesh Gear System, inspiriert von der Formel E)
Gewicht: 360 Kilogramm (420 mit den sechs modularen Batterien) – „normale“ Autos wiegen mehr als doppelt so viel, auch die Batterien in Elektroautos wiegen normal gerne mehrere hundert Kilos
Sitzplätze: Zwei – im Stadtverkehr auf dem Weg zur Arbeit werden selten mehr Sitze benötigt
Verwendete Materialien: Für die Karosserie und das Innenleben wurden hauptsächlich Flachsfasern sowie ein Kunststoff aus Zuckerbasis verwendet – die biologischen und zugleich sehr leichten Materialien verbrauchen sechs Mal weniger Energie als herkömmlich für die Leichtbauweise verwendete Stoffe wie Aluminium oder Karbon

Simone Zettier arbeitet als Autorin für diverse Magazine, Webredaktionen und Zeitungen. Die begeisterte Tennisspielerin mit unbändiger Reiselust studierte an der TU Dortmund Journalistik und Amerikanistik und legte ein Auslandssemester an der University of New Orleans/Louisiana ein.
Generell eine Super-Idee und Leistung – Danke
Aber warum wird schon bei den ersten oberflächlichen technischen Daten der Unsinn von1 Liter Sprit auf 100 Km im Stadtverkehr von der unfähigen Presse reklamiert?
Wo soll der Sprit denn hingegossen werden ?
Hallo Tobo, tatsächlich sehr gute Frage!!! Da überprüfen wir die Daten besser noch einmal. Danke für den Hinweis!
Ich muss sagen, ich lege wenig Wert auf das Aussehen eines Autos und von daher wäre ich wohl ein guter Kandidat für sowas. Hauptsache es fährt und ist billig. Ich bräuchte nie einen Porsche oder sowas. Ein Opel Adam wäre das Maximum. In jedem Fall sehr innovativ und ich hoffe sowas wird weiter unterstützt.
Das hoffen wir auch, die Uni ist in dieser Richtung sehr innovativ unterwegs – jetzt müssen nur noch die Unternehmen auf den Zug aufspringen