Aus Kohlendioxid und Wasser mit Strom Kraftstoff gewinnen: Im Interview zeigt Gründerpreisträger Tim Böltken, welche Chancen „Power-to-Liquid“ bietet.
Herr Böltken, haben Sie sich über die Aufdeckung der Diesel-Affäre gefreut?
Zumindest hat der Skandal dazu geführt, dass das Thema in den Medien heiß diskutiert wurde. Die Menschen möchten wissen, wie die Mobilität der Zukunft aussieht. Doch Diesel-Affäre hin oder her: Momentan basiert unsere Mobilität auf flüssigen Kraftstoffen, die einfach gigantische Vorteile haben: Eine bestehende Infrastruktur, eine hohe Speicherbarkeit, einfache Handhabung und eine hohe Reichweite. Deshalb werden wir diese Kraftstoffe auch in Zukunft noch benötigen – selbst in den besten Szenarien für die Elektromobilität. Das gilt besonders für Langstrecken, Schwerlastverkehr und auch für den Flugverkehr.
Würden Sie diesen Satz unterschreiben: Auch Dieselautos können umweltfreundlich fahren, wenn sie synthetischen Diesel tanken?
Auf jeden Fall. Natürlich entsteht CO2, wenn man synthetischen Kraftstoff verbraucht. Doch das bei uns freigesetzte CO2 wurde zuvor der Umwelt entnommen: Dieses CO2 stammt aus einer Produktionsanlage und ist ein Abfallprodukt. Das bedeutet, dass kein CO2 entsteht, das nicht schon zuvor in die Atmosphäre gelangt wäre. Die Fahrt ist somit CO2-neutral und umweltfreundlich. Durch die Verwendung von z. B. Biogas haben wir die Möglichkeit, diesen hochreinen Diesel ohne Schadstoffe herzustellen. Dieses „high quality fuel“ hat beste Verbrennungseigenschaften, ist sehr sauber – und kann in eine bestehende Infrastruktur gegeben werden.
Haben Sie dafür im vergangenen Jahr den Deutschen Gründerpreis erhalten?
Wir haben den Preis bekommen, weil wir das Verfahren Power-to-Liquid praktikabel gemacht haben. Unsere entscheidende Innovation ist: Wir bauen keine riesigen Anlagen. Uns ist es gelungen, die chemische Reaktortechnologie auf die Größe eines Schiffscontainers zu schrumpfen. Das bedeutet, dass unsere Anlagen dort aufgebaut werden können, wo CO2-Emissionen entstehen oder erneuerbarer Strom hergestellt wird.

Das Unternehmen INERATEC entwickelte eine Kompaktanlage, die flüssige synthetische Kraftstoffe aus Gasquellen gewinnt. Durch die Verwendung von Biogas entstehen klimaneutrale Kraftstoffe. (V.l.n.r.) Philipp Engelkamp, Dr.-Ing. Tim Böltken, Dr.-Ing. Paolo Piermartini und Prof. Dr.-Ing. Peter Pfeifer (© copyright by Karlsruher Institut für Technologie)
Wie funktioniert Power-to-Liquid?
Eigentlich ist es ganz einfach: Man hat CO2 und Wasser als Ausgangsstoffe. Im ersten Schritt wird bei der Elektrolyse das Wasser unter Einfluss von erneuerbarer Elektrizität in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Sauerstoff geht in die Luft und der Wasserstoff wird in der Anlage mit dem CO2 zusammengeführt. Daraus entsteht zunächst Synthesegas, woraus dann in einem weiteren Schritt synthetische Kraftstoffe und Wachse hergestellt werden.

Update Power-to-Liquid-Anlage in Laufenburg (07.02.2020): Energiedienst plante mit INERATEC und Audi eine Power-to-Liquid Pilotanlage. Sie sollte mit dem Strom des Wasserkraftwerks Laufenburg klimaneutralen Kraftstoff produzieren. Dieses Projekt wird Energiedienst vorerst nicht weiterverfolgen. Weitere Infos im Infokasten. (Grafik: Energiedienst / trurnit Publishers)
Aber ist ein E-Auto nicht umweltfreundlicher?
Das ist ein schwieriger Vergleich. Zuerst einmal ist es immer gut, wenn alternative Antriebe gefördert werden. Unser Ziel ist es, dass irgendwann jeder erneuerbar fahren kann – wie auch immer dieses Szenario aussehen mag. Trotzdem werden manche Bereiche auch künftig auf flüssige Kraftstoffe angewiesen sein, allen voran der Flugverkehr. Einen Personenflieger wird man niemals elektrisch betreiben können.
Aber bleiben wir beim E-Auto.
Wenn ich meine Solaranlage auf dem Dach habe und ich den Strom direkt nutze, um mein E-Auto aufzuladen, hat das elektrische Fahrzeug natürlich einen Vorteil gegenüber dem Verbrennungsmotor. Den wollen wir auch gar nicht wegdiskutieren. Doch was passiert mit dem Strom, den ich über Tag nicht sofort verwende? Oder wenn alle abends nach Hause kommen und um 18 Uhr ihr Auto einstecken? Das Problem an dieser Stelle ist die Speicherbarkeit der erneuerbaren Elektrizität. Die Energie, die über Tag produziert wurde, kann am Abend nicht mehr genutzt werden. Dieser grundlegende Schwachpunkt wird langsam auch der Industrie bewusst. Nicht ohne Grund fahren über 95 Prozent der Autos mit Verbrennungsmotor – die Speicherfähigkeit dieser Kraftstoffe ist einfach gigantisch.
Pro Liter Dieseläquivalent sollen derzeit die Kosten bei 4,50 Euro liegen – stimmt das?
Natürlich wird ein Kraftstoff, den Sie extra herstellen müssen, immer teurer sein, als ein Kraftstoff, der einfach nur aus der Erde sprudelt. Perspektivisch wollen wir die Preise an der Tankstelle erreichen. Unser Ansatz ist es, die Technologie in Serienreife zu bringen. Das bedeutet, dass die Kraftstoffe weder in Saudi-Arabien aus der Erde gepumpt, noch mit dem Tanker über die halbe Welt transportiert werden müssen. Unsere Kraftstoffe können dezentral dort hergestellt werden, wo sie genutzt werden. Bei den riesigen Mengen an Erdöl, die heutzutage verbrannt werden, braucht es alternative Lösungen.
Und wie hoch ist der Preis Ihres synthetischen Diesels?
Der Preis unseres Kraftstoffes hängt immer vom Standort ab – denn wir benötigen einen Standort, der günstigen, erneuerbaren Strom zur Verfügung hat. Generell lässt sich jedoch sagen, dass 4,50 Euro viel zu viel sind. Wir planen, mit der ersten Pilotanlage Produktionskosten in der Größenordnung der Tankstellenpreise in der Schweiz möglich zu machen. Literpreise von unter 2 Euro sind in absehbarer Zeit machbar.
Stimmt es, dass aus dem gewonnenen Stoff auch Kunststoffe und Textilien hergestellt werden können?
Ja, wir gewinnen auch Grundstoffe für die chemische und pharmazeutische Industrie. Beispielweise werden Überzüge für Herzschrittmacher, Implantate aus Kunststoff, Kleidung oder Farben gefertigt. Das ist ein weiterer Markt für uns. Wenn man synthetisches Öl erzeugt, muss man dieses ja nicht zwingend direkt wieder verbrennen, sondern kann es auch in die chemische Industrie geben und dort einen Mehrwert schaffen.
Wo sehen Sie Power-to-Liquid in 10 Jahren?
Überall auf der ganzen Welt. Je mehr Anlagen wir bauen und verkaufen, desto weniger Erdöl muss aus der Erde gefördert werden. Wir möchten diese Kompaktanlagen in Serie produzieren. Das würde bedeuten, dass auch kleine Windkraftbetreiber oder Biogasbauern eine unserer Anlagen besitzen könnten, um so ihren eigenen Kraftstoff zu produzieren.
Herr Dr. Böltken, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Energiedienst verfolgt das Power-to-Liquid Projekt in Laufenburg vorerst nicht weiter und konzentriert sich auf die Power-to-Gas Anlage in Whylen. Die Wasserstoffanlage ist bereits seit Dezember 2019 in Betrieb. Laut der Projektpartner Audi und Ineratec soll der Bau der geplanten PtL-Anlage mit einem neuen Partner aus der Energiebranche an einem anderen Standort in der Schweiz weitergeführt werden. Energiedienst schließt nicht aus, das Thema Power-to-Liquid zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen.
Die Soziologin Julia Hugenschmidt ist in Efringen-Kirchen aufgewachsen und im Internet zuhause. Ihre Abschlussarbeit schrieb sie über Radikalisierungstendenzen im Web. Sie arbeitet als PR-Redakteurin für die Agentur Schleiner + Partner Kommunikation und beschäftigt sich mit Themen der Nachhaltigkeit.
Super spannend. Verstehe ich richtig, dass die biogenen Anlagen, welche das CO2 liefern unsere Abfälle aus der braunen Tonne sein könnten? Gibt es denn mehr Zahlen, wieviel Energie aufgewendet und gespeichert werden kann?
Hallo Chriz,
für die Power-to-Liquid Anlage plant EnergieDienst, CO2 aus Biogasanlagen zu nutzen. Biogas entsteht bei der Vergärung von Biomasse – also zum Beispiel aus den Abfällen der braunen Tonne. Solche Anlagen kommen derzeit hauptsächlich in der Landwirtschaft zum Einsatz, wo meist tierische Exkremente und Energiepflanzen zu Gas verarbeitet werden. Alternativ kann man CO2 verwenden, das bei industriellen Vergärungsprozessen entsteht. In jedem Fall wird EnergieDienst für die Anlage kein CO2 erzeugen, sondern solches verwenden, das sonst in die Atmosphäre abgegeben würde.
EnergieDienst plant in der Power-to-Liquid-Anlage in Laufenburg 1.000 Kilowatt Strom aus Wasserkraft pro Jahr für die Produktion einzusetzen. Daraus werden etwa zur Hälfte – ca. 200.000 Liter – klimaneutraler Diesel und ca. 200.000 Kilogramm Wachse gewonnen. Bei der Produktion entstehen auch Heißwasser (235 Kilowatt) und Dampf (125 Kilowatt), die als Abwärme genutzt wird. Wenn die Abwärme genutzt wird, beträgt der Wirkungsgrad der Anlage 95 Prozent.
Ich hoffe, dir mit dieser Antwort geholfen zu haben. Liebe Grüße, Julia
Hallo Julia, danke für die ausführliche Rückmeldung! Ich bin begeistert. Es tut gut zu lesen, dass Menschen aktiv am Energiewandel arbeiten. Danke für den Einblick. LG
Kleine Korrektur und Ergänzung: Die Anlage erzeugt ca. 60 Liter Produkte (Kraftstoff und Wachs) in der Stunde. Der benötigte Wasserstoff wird in einem Elektrolyseur mit einer elektrischen Leistung von rd. 1.000 kW produziert. Für die genannten 400.000 Liter Produkte im Jahr muss die Anlage 6.667 Stunden mit Nennleistung betrieben werden (von 8.760 Stunden des gesamten Jahres). Im eingeschwungenen Zustand und nach Behebung etwaiger Kinderkrankheiten wird ein Betrieb von über 8.000 Stunden im Jahr möglich sein.
Ist auch ein Teillastbetrieb möglich und kann das Produktionsverhältnis zwischen Wachs und Treibstoff manuell eingestellt werden oder ist das fest?
Grüße
Hallo Nico,
die Anlage würde teillastfähig sein. Angestrebt war eine Mindestlast von etwa 20 %. Der Nachweis wäre mit der Pilotanlage noch zu erbringen gewesen.
Viele Grüße
Peter
Ist es nicht so, dass Biogasanlagen mehrheitlich mit Maissilage betrieben werden?! Welche Auswirkungen der Maisanbau auf unsere Böden hat, abgesehen davon, dass es dadurch zur Explosion der Schwarzwildbestände gekommen ist, sollte jeder Fachmann/-frau wissen. Das allerdings die Reste des Verwertungsprozesses letztlich auch entsorgt werden müssen, und nach der Verteilung auf landwirtschaftliche Flächen in der Folge den Nitratgehalt des Grundwassers zusätzlich erhöhen, vergessen anscheinend einige Laien. Insofern war ich eigentlich sehr froh, dass allen Beteiligten klar war, dass Biogasanlagen ein Auslaufmodell darstellen. Insofern kann ich ihren Vorschlag nur auf die Einbeziehung bestehender Anlagen verstehen, oder?
Die Bezugsquelle „Biogasanlage“ ist für Power-to-Liquid nur bespielhaft. Es kommen auch andere Quellen wie Vergärungsanlagen zur Lebensmittelproduktion in Frage, auf längere Sicht auch die Abscheidung von CO2 aus der Luft. In keinem Fall wird CO2 für unseren Prozess hergestellt. Wir verwenden nur Solches, dass ansonsten in der Atmosphäre wäre.
Hallo Julia,
mit wieviel bar arbeitet die Anlage und welche Temperatur benötigt sie?
Hallo Britta,
die Anlage arbeitet mit Drücken zwischen 20 und 30 bar und bei Temperaturen von 200 bis 250°C.
Viele Grüße
Ingrid
Hallo Julia,
betreffs der Steuerung für die Anlage, in welcher Ex-Zone arbeitet die Power-to-Liquid-Anlage?
Ist der Platzbedarf und das Gewicht der Steuerungen für die Gesamtanlage von hoher Bedeutung?
Hallo Harald,
Platzbedarf und Gewicht der Steuerungen für die Gesamtanlage sind im Vergleich zu den sonstigen Komponenten wie Elektrolyseur, Treibstoffsyntheseeinheit, Tanks, Abstandsflächen für Zugänglichkeit bei Wartungen vernachlässigbar.
Viele Grüße
Peter Trawitzki
Wir nutzen verschiedene Treibstofflieferanten für unser Unternehmen. Ich bin gespannt, wie sich diese Branche entwickelt. Daher wollte ich auch diesen synthetischen Diesel im Blick haben, jedoch denke ich auch, dass er im Moment noch zu teuer ist.