Das belgische Flandern ist Europameister beim Wiederverwenden von Dingen. Wie funktioniert dort Re-Use und ist das auch ein Modell für Deutschland?
Die Europäische Kommission setzt dagegen beim Recycling an und fördert höhere Quoten, aber Recycling ist nicht alles. Deutschland als Recycling-Weltmeister exportiert beispielsweise auch Müll in andere Länder – auch dies fließt in die Quote mit ein. Die Zero Waste-Bewegung agiert nach dem Motto „Refuse – Reduce – Reuse – Recycle“, also Verpackungen ablehnen, weniger Müll produzieren, keine Einwegprodukte verwenden und all das, was trotzdem noch anfällt, recyceln.
Wiederverwenden in großem Stil: De Kringwinkel-Läden
Bei Re-Use denkt man in erster Linie an Dinge des täglichen Gebrauchs wie Thermobecher statt Coffee-to-go-Becher, gemahlener Kaffee statt Kaffeekapseln, Stoffbeutel statt Plastiktüte, aber man kann das Ganze auch in größeren Dimensionen denken – und das mit Erfolg. „De Kringwinkel“, das sind 147 Second-Hand-Läden und zwei Webshops, die sich zu einer Dachmarke zusammengeschlossen haben. Die Kette mit Sozial-Kaufhäusern in bester Lage sammelt Möbel, Kleidung und Elektrogeräte und bereitet sie für den Wiederverkauf auf. Aus diesem Grund landen sie nicht auf dem Müllberg.

„De Kringwinkel“-Läden in Belgien verkaufen alles vom Kronleuchter über Sofas bis zum Staubsauger aus zweiter Hand. (Bild: De Kringwinkel)
Gebrauchtwarenhandel als Teil der Abfallpolitik
In Sachen Re-Use ist Flandern Vorreiter und Vorbild für ganz Europa, wenn nicht sogar weltweit. Der Gebrauchtwarenhandel ist dort Teil einer nachhaltigen Abfallpolitik. Die flämische Abfallbehörde Ovam und Komosie, die flämische Dachorganisation der sozialwirtschaftlichen Trägerorganisationen von „De Kringwinkel“, arbeiten dabei Hand in Hand und haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2022 sieben Kilogramm gebrauchte Ware pro Einwohner zu verkaufen. 2015 lag die Zahl noch bei fünf Kilogramm.

Gebrauchte Waren holen „De Kringwinkel“-LKWs kostenlos zu Hause ab. In Werkstätten bereiten Angestellte die Dinge für den Verkauf auf, reinigen und reparieren sie, falls notwendig. (Bild: De Kringwinkel)
Schatzjagd mit gutem Gewissen
Was ist das Erfolgsgeheimnis von De Kringwinkel? De Kringwinkel steht für soziale Beschäftigung. Die Dachorganisation bietet fast 6.000 Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen kaum oder gar keine Chancen haben, einen Arbeitsplatz, eine Ausbildung und eine Perspektive für die Zukunft. Stichwort ökologischer Fußabdruck: Re-Use ist ein wichtiges Merkmal der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy), welche die Ressourcen und das Klima schützen soll. Zudem verkauft De Kringwinkel originelle und bezahlbare Produkte, die eine Geschichte erzählen. Ein Einkauf dort gleicht einer Schatzjagd. „Wer bei uns einkauft, geht mit einem guten Gefühl nach Hause“, bekräftigt Jurgen Blondeel, stellvertretender Geschäftsführer von Komosie.

Das originelle Sortiment der „De Kringwinkel“-Shops macht die Läden zum Paradies für Schatzjäger zu kleinen Preisen. (Bild: De Kringwinkel)
Re-Use Netzwerke in Europa
Aus dem Ausland bekommt Blondeel regelmäßig Anfragen, in denen es um eine mögliche Übernahme des Konzeptes geht. Auch das RepaNet, das Re-Use- und Reparatur-Netzwerk in Österreich, ist an das in Flandern angelehnt. Bei der Müllproduktion ganz vorne, hinkt Deutschland beim Re-Use hinterher, aber auch hierzulande tut sich etwas. In Flandern steht das Thema seit mehr als 20 Jahren ganz oben auf der Tagesordnung, in Deutschland wurde 2017 die bundesweite Dachmarke für Kooperation und garantierte Qualität in der Ressourcenschonung durch Wiederverwendung und Reparatur sowie das Upcycling in Secondhand- und Gebrauchtwarenhäusern WiRD ins Leben gerufen. Re-Use ist dabei das oberste Ziel.
Trend zum Reparieren in Europa
Eine „Kultur der Reparatur“ wie in Flandern gibt es europaweit noch nicht, aber es liegt mittlerweile zumindest im Trend, etwas zu reparieren. Überall eröffnen Repair Cafés, mittlerweile gibt es 1829 in ganz Europa. In diesen Cafés wird dann gemeinsam an defekten Alltagsgegenständen geschraubt und gebastelt, um diese wieder funktionstüchtig zu machen (wie z. B. im Repair Café in Weil am Rhein). Kaffeemaschinen werden aber beispielsweise in Castrop-Rauxel nicht mehr angenommen, weil die Bauteile oft mit Kunststoff verklebt sind und es obendrein an Ersatzteilen mangelt. Sie fallen damit in die Kategorie Wegwerfartikel.

Bei „De Kringwinkel“ repariert Fachpersonal gebrauchte Gegenstände, was sehr zeitaufwändig ist. (Bild: De Kringwinkel)
Auch bei De Kringwinkel werden nicht mehr so viele Elektrogeräte wie früher repariert. „Die Reparatur ist extrem zeitaufwändig und erfordert Fachpersonal. Das Anlernen für diesen Bereich dauert im Gegensatz zu anderen Bereichen sehr lange“, erklärt Blondeel. Beim Re-Use von Waschmaschinen, Kühlschränken und Geschirrspülern stößt die Sozialkaufhaus-Kette also an ihre Grenzen, da sie eben auch auf soziale Beschäftigung setzt. Dennoch oder gerade deswegen ist Flandern in Sachen Re-Use ein Vorbild, von dem viele andere Regionen und Länder weltweit noch viel lernen können.
Interview mit Nadja von Gries: „Flandern hat viel Jahre Vorsprung“
Nadja von Gries vom Wuppertal Institut erforscht Ressourcen-Einsparpotenziale. In ihrer Dissertation vergleicht sie das flämische Erfolgsmodel beim Wiederverwenden von Elektroaltgeräten mit Nordrhein-Westfalen. Im Interview erklärt sie die Unterschiede.
Warum ist Flandern in Sachen Re-Use so weit vorne?
Nadja von Gries: Trotz einer Vielzahl von Produkthemmnissen, wie etwa die schlechte Reparierbarkeit von Elektrogeräten, gelingt es in Flandern, im Vergleich zu anderen Regionen in Europa relativ hohe Abfallmengen über ein Wiederverwendungs-Netzwerk wiederzuverwenden. Das Netzwerk besteht im Wesentlichen aus dem flämischen regionalen Dachverband „Komosie“, sozial-wirtschaftlich organisierten Wiederverwendungs-Zentren und den „De Kringwinkel“-Shops.

„De Kringwinkel“ ist eine Marke: Die Dachorganisation unterstützt seine Mitglieder bei der Ladengestaltung und beim Marketing ebenso wie bei der Qualitätssicherung.
Die Dachorganisation berät seine Mitglieder mittlerweile umfassend in Bezug auf Ladengestaltung und Marketing, Aufbereitungsverfahren, Registrierung und Berichterstattung. So gibt es zum Beispiel das Qualitätslabel „De Kringwinkel“, es werden Reparaturanleitungen zur Verfügung gestellt und ein gemeinsames elektronisches Registrierungs- und Berichtsinstrument genutzt. Auch in Sachen Qualitätssicherung unterstützt die Dachorganisation seine Mitglieder, beispielsweise werden interne Auditierungen zur Bewertung des Services der Shops durch externe Testkäufe durchgeführt. Auf diese Weise werden überlokal einheitliche Standards geschaffen – die Professionalität und Reichweite sind sicher zentrale Aspekte, die zu dem Erfolg des Netzwerks beitragen.

Re-Use ist Teil der flämischen Abfallpolitik: Ein Netzwerk gewährleistet, dass Konsumenten eine relativ hohe Abfallmenge im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wiederverwenden.
Gleichzeitig ist die Wiederverwendung ein fest verankerter Teil der flämischen Abfallwirtschaft; nicht zuletzt dank der langjährigen Lobbyarbeit des Dachverbands. Zum Beispiel zeigen spezielle Regelungen, die den Wiederverwendungs-Zentren den Zugriff auf potenziell wiederverwendbare Geräte ermöglichen, die zentrale Rolle der Wiederverwendung in den institutionellen Strukturen von Flandern.
Was müsste sich in Deutschland ändern, dass dieses Model auch hier Erfolg hätte?
Nadja von Gries: Das betrifft viele Aspekte. Ein zentraler Aspekt ist es zum Beispiel mehr zu kooperieren, sowohl entlang der Wertschöpfungskette als auch zwischen den Wiederverwendungseinrichtungen.
So ist beispielsweise der frühzeitige Zugriff auf Geräte essentiell für den Wiederverwendungserfolg. In Deutschland werden aus verschiedenen Gründen diese Mengenpotenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft, zum Beispiel ist die Separierung von Geräten, die von Bürgern auf den Wertstoffhöfen abgegeben werden, nur unter bestimmten Bedingungen rechtlich zulässig (so genanntes Separierungsverbot im Elektro- und Elektronikaltgerätegesetz). Solche Regelungen hemmen die Wiederverwendung.
Des Weiteren müsste die Vernetzung der Wiederverwendungseinrichtungen untereinander weiter vorangetrieben werden, da sie ein wichtiger Treiber für die Professionalisierung der Betriebe ist. Mit dem vom Umweltministerium gefördertem WiRD Projekt wurden die Grundlagen für eine deutschlandweite Dachmarke erarbeitet. Der daraus entstandene WIR e.V. ist Träger der Qualitätsdachmarke der Wiederverwendungs- und Reparaturzentren in Deutschland. Der Verein steht mit seinen Arbeiten noch ganz am Anfang. Politische Entscheidungsträger sollten deshalb solche Projekte, auch auf lokaler Ebene, wie es beispielsweise aktuell die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Rahmen ihrer Zero-Waste-Initiative macht, weiter unterstützen.
Gibt es hierzulande vielleicht auch zu viele Boykottierer?
Nadja von Gries: Die Gründe sind vielfältig. Neben dem angestaubten Image, der geringen Bekanntheit etc., spielen sicher auch Konsummuster, wie das Verlangen der Konsumenten, immer das Neueste besitzen zu wollen, eine Rolle.
Gibt es hierzulande trotzdem Best Practice-Beispiele?
Nadja von Gries: Ja, in NRW und auch in anderen Bundesländern gibt es Wiederverwendungseinrichtungen, die ganz hervorragende Arbeit leisten, wie zum Beispiel die RecyclingBörse! in Herford, allerdings lokal begrenzt. Eine Vernetzung der Betriebe wie in Flandern, steckt, wie oben erwähnt, noch in den Kinderschuhen. Mit den genannten Vernetzungsprojekten wurde ein Startschuss gesetzt. Flandern hat hier viele Jahre Vorsprung. So sind die Anfänge von Komosie bereits auf das Jahr 1994 zurückzuführen, während der WIR e.V. als Ergebnis des WiRD Projekts erst 20 Jahre später gegründet wurde.

Simone Zettier arbeitet als Autorin für diverse Magazine, Webredaktionen und Zeitungen. Die begeisterte Tennisspielerin mit unbändiger Reiselust studierte an der TU Dortmund Journalistik und Amerikanistik und legte ein Auslandssemester an der University of New Orleans/Louisiana ein.