Der Hindernislauf bis zum Start
Seit 20. Dezember 2014 leisten die Energiedienst-Wasserkraftwerke in Rheinfelden und Laufenburg einen wertvollen Beitrag zur Stabilität des Stromnetzes. Die zwei Wasserkraftwerke bieten als erste am Hochrhein dem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW negative Regelleistung zur Aufrechterhaltung einer konstanten Netzfrequenz von 50 Hertz an.
Zwischen Weihnachten und Dreikönig kommt es in Deutschland aufgrund der niedrigen Verbrauchslast erfahrungsgemäß zu einem hohen Regelleistungsbedarf. Daniel Schölderle, seit September 2013 Leiter Energiewirtschaft bei Energiedienst, schildert, was er auf diesem Weg zur Teilnahme am Regelleistungsmarkt erlebt hat:
Ende September 2013: Ich besuche unsere Kraftwerksmeister in Rheinfelden, Wyhlen und Laufenburg. Bisher zwingen uns Konzessionsvorgaben dazu, mit diesen Kraftwerken jederzeit die bestmögliche Stromproduktion zu erzielen. Im vergangenen Jahr haben wir über Weihnachten und Neujahr deshalb aufgrund negativer Strompreise wieder viel Geld mit der Stromproduktion verloren.
Ist es nicht zukünftig möglich, den Spieß umzudrehen? Dazu möchte ich herausfinden, ob die Wasserkraftwerke flexibel genug sind, um Regelleistung anbieten zu können. Statt Geld zu verlieren, würden wir durch das Anbieten von Regelleistung über die Weihnachtszeit zur Stabilität des Stromnetzes beitragen und dabei sogar Geld verdienen.

Mike Mühlemann, Daniel Schölderle und Roberto Aita (v.l.n.r.) diskutieren den Beitrag von Energiedienst zur Stabilität des Stromnetzes.
Nach anfänglichen Bedenken – immerhin wurde seit 100 Jahren versucht die Erzeugung zu maximieren – merke ich, wie die Kollegen der Kraftwerke sich mit dieser Idee zusehends anfreunden. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass unsere Kraftwerke technisch für Regelleistungen geeignet sind. Jetzt heißt es „nur noch“ die zuständigen Behörden in Deutschland und der Schweiz von unserer Idee zu überzeugen.
8. Oktober 2013: Gemeinsam mit der Leiterin Service und dem Leiter der Kraftwerke fahre ich zum Schweizer Bundesamt für Energie und Umwelt (BFE) nach Bern. Die Anspannung ist zu spüren, da wir erstmals die Chance haben unser Anliegen gegenüber den Behörden vorbringen zu können.
Das BFE ist sehr interessiert, zeigt aber große Skepsis was die Freigabe für die Teilnahme am Regelleistungsmarkt angeht. Wir verständigen uns darauf, zunächst eine Detailanalyse über die Nutzen und Risiken der Erbringung von Regelleistung aus unseren Hochrheinkraftwerken zu erstellen.
Oktober 2013: Leicht resigniert mache ich mich an die Ausarbeitung der Analyse, da ich mir keine allzu großen Hoffnungen mache. Die Analyse wird an die zuständigen Behörden in Deutschland und der Schweiz versendet.
17. Juli 2014: Ein Hoffnungsschimmer! Die deutschen und die Schweizer Behörden treffen sich mit uns am Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt. In einem offenen Gespräch diskutieren wir die Auswirkungen einer Teilnahme am Regelenergiemarkt.
Da wir unsere Kunden mit NaturEnergie aus unseren und weiteren Kraftwerken am Hochrhein versorgen, haben wir eigentlich kein Interesse an einer Reduzierung der Produktion. Diese würde uns schließlich für die Belieferung unserer Kunden fehlen.
Allerdings ergeben sich immer wieder wetterbedingt Situationen, in denen der Hochrhein überdurchschnittlich Wasser führt und gleichzeitig unsere Kunden weniger Strom als üblich verbrauchen.
Die Weihnachtstage 2012 waren so ein Fall. Die Wasserführung war extrem gut und es war viel zu warm. Da es auch windig war, gab es ein großes Angebot an erneuerbaren Energien und dementsprechend negative Preise am Großhandelsmarkt. Dies bedeutete für uns, dass wir zuzahlen mussten, damit sich „Käufer“ für unsere Energie fanden.
Dies sind auch typische Konstellationen, in denen Übertragungsnetzbetreiber negative Minutenreserven (Regelenergie) abrufen. Letztlich möchten wir also nur einen kleinen Teil unserer Produktion flexibilisieren. Nach dem Gespräch wird uns eine Rückmeldung bis Ende August in Aussicht gestellt.
28. August 2014: Wir haben die Duldung der Schweizer Behörden erhalten. Wir dürfen die Wasserkraftanlagen nicht nur bei negativen Preisen, sondern auch für Systemdienstleistungen flexibel steuern.

Das Stromnetz stabil zu halten, wird für den Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) immer schwieriger. Der Anteil aus Wind- und Sonnenenergie nimmt zu und schwankt wetterabhängig. Zum Ausgleich variieren Kraftwerke auf Anforderung des ÜNB ihre Erzeugung. Weil konventionelle Kraftwerke zunehmend vom Markt verschwinden, übernehmen Wasserkraftwerke diese Aufgabe.
17. und 24. September 2014: Es ist erforderlich, sich bei dem für uns zuständigen Übertragungsnetzbetreiber, der TransnetBW, zu qualifizieren. Hierzu müssen wir neben umfangreichen Tests und Erweiterungen an den Kraftwerken auch noch die sichere Anbindung an die Netzleitstellen der TransnetBW erreichen.
Als erstes stehen die Qualifikationstests an den Kraftwerken Rheinfelden und Laufenburg an. Wir müssen zwei Mal in Folge beide Kraftwerke innerhalb von 15 Minuten um jeweils 50 MW reduzieren und wieder hochfahren.
Nachdem das neue Kraftwerk in Rheinfelden die Leistungsreduktion problemlos geschafft hat, stehe ich voller Zuversicht auf der Wehranlage in Laufenburg. Auf einmal setzt ein ohrenbetäubender Lärm ein und die Kettenzüge am Wehr beginnen sich unter lautem Ächzen zu bewegen. Einen kurzen Augenblick lang überlege ich, mich lieber am Ufer in Sicherheit zu bringen. Aber ich beschließe, den Baumeistern des Wehrs zu vertrauen und bleibe.
Nach 15 Minuten sind die Schleusen geöffnet und die Gischt des tosenden Wassers spritzt mir ins Gesicht. Eine Wandergruppe zückt begeistert ihre Kameras und möchte von mir wissen, was mit dem Wehr los ist. Während meiner eigenen Erklärungen wird mir erstmals die vollständige Tragweite des Projekts bewusst.
Bei einem Blick auf die Uhr stelle ich mit Schrecken fest, dass nur zwei Minuten zum vollständigen Schließen der Wehre bleiben. Noch immer tobt das Wasser um mich herum. Gerade rechtzeitig gelingt es den Kollegen in der Leitwarte die letzte Maschine wieder ans Netz zu bringen und das Wehr zu schließen.
Wir haben die Vorgaben erfüllt! Mit leicht zittrigen Knien schaue ich in der Leitwarte vorbei. Dort wundern sie sich, warum ich während des Tests nicht bei ihnen war. Ich sage, dass ich sie nicht zusätzlich nervös machen wollte. In Wahrheit war ich einfach nur froh, in der letzten halben Stunde alleine gewesen zu sein.
25. September 2014: Mit den erfolgreichen Tests in der Tasche fahre ich mit drei Kollegen zur TransnetBW nach Stuttgart. Es geht um die sichere Anbindung der Kraftwerke und unseres Handelsraums an die Netzleitstellen der TransnetBW.
Zum Glück haben wir einen Mitarbeiter aus der IT dabei, denn ich verstehe nur einen Bruchteil der Diskussion über Server und IT-Infrastruktur. Doch auch ohne die Details zu verstehen, wird mir klar, wie viel Arbeit wir noch vor uns haben.
Bei der Verabschiedung frage ich, ob unser Zeitplan bis Weihnachten überhaupt noch realisierbar sei. Die Antwort, es sei alles äußerst ambitioniert, aber wenn alles perfekt zusammenläuft doch noch machbar, trägt nicht wirklich zu meiner Beruhigung bei. Wann läuft schon alles perfekt zusammen?
29. Oktober 2014: Endlich ist die noch fehlende Duldung auch von deutscher Seite bei uns eingegangen. Allerdings bleibt bis Weihnachten nun nicht mehr viel Zeit. Uns fehlt jetzt noch die sichere Anbindung an die Netzleitstellen der TransNetBW.
Dezember 2014: Ich sehe mit Sorge wie die Augenringe der Projektmitarbeiter immer dunkler werden. Sie arbeiten oft bis tief in die Nacht hinein, um den wichtigen Terminstart vor Weihnachten halten zu können.
Das Projekt steht mehrmals auf der Kippe, aber es findet sich erstaunlicherweise immer eine Lösung. Trotz der zunehmenden Anspannung bin ich sehr glücklich über das bisher Erreichte. Es ist schön zu sehen, wie sich in den vergangenen Wochen unterschiedliche Mitarbeiter aus den Bereichen Kraftwerke, Netze, IT und der Energiewirtschaft zu einem starken Team zusammengefunden haben.
19. Dezember 2014 / 9:55 Uhr: Der große Tag ist gekommen. Zusammen mit dem Projektleiter sitze ich im Handelsraum gebannt vor den Bildschirmen. Soeben haben wir unsere Gebote für die Regelleistung der nächsten Tage abgegeben. Ein Schichtsystem in den Kraftwerken gewährleistet bis Dreikönig, dass jeweils zwei Mitarbeiter an den ansonsten unbesetzten Kraftwerken vor Ort sind.
Mir geht jetzt nur ein Gedanke durch den Kopf: wenn wir uns jetzt bei den Geboten verschätzt haben und keinen Zuschlag bekommen, dann war alles umsonst.
19. Dezember 2014 / 10:30 Uhr: Wir haben die Zuschläge erhalten!
Damit nimmt Energiedienst ab 20. Dezember am Regelenergiemarkt teil. Wir können unser Glück noch gar nicht fassen. Neben großer Freude schleicht sich bei mir aber auch ein schlechtes Gewissen ein. Ich lasse die Kollegen über Weihnachten allein, um mit meiner Familie ein paar Tage Skifahren zu können. Es bleibt mir nur noch die Daumen zu drücken, dass in den nächsten Tagen bei der Steuerung der Kraftwerke alles wie geplant funktioniert.

Daniele Schölderle ist Gastautor im Energiedienst-Blog. Er ist bei Energiedienst Leiter Energiewirtschaft.
Super spannender Beitrag :-)
Gut das jetzt auch die Energiedienst AG ihren Beitrag leistet.
Auf den Speichereffekt wurde in dem Artikel leider nicht eingegangen. Wird nicht – während Wind- u/od. Solaranlagen Energie liefern, nicht gerade Hochwasser herrscht und die Energieproduktion gedrosselt werden muss – ein gewisser Teil des Wasser aufgestaut bzw. gespeichert? Dadurch steht doch ein Teil der nicht genutzten Wassermenge in Zeiten geringer Energieproduktion aus Wind- u/od. Solaranlagen zur Verfügung. Ein positiver Effekt, auf den weiter eingegangen werden sollte.
Die Idee mit dem Aufstauen wäre genial. Leider müssen wir aber penibel darauf achten, dass sich die Pegelstände oberhalb und unterhalb des Kraftwerks auch bei der Erbringung von Regelleistung nicht verändern. Deshalb bleibt uns momentan nur die Möglichkeit, das Wasser über das Wehr zu schicken. Die Einhaltung der Pegel ist, wenn ich richtig informiert bin, wegen der Schifffahrt und dem Gewässerschutz notwendig. Wir arbeiten aber aktuell mit unseren Energiepartnern in der Schweiz an möglichen Lösungen, die diesen Wehrüberfall umgehen. Beispielsweise könnten die Schweizer Partner, wenn sie in dem Moment des Regelenergieabrufs in Ihren Pumpspeicherkraftwerken noch Puffer bei der Pumpleistung haben, die Energie durch eine entsprechende Erhöhung der Pumpleistung aufnehmen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass das der ganze Prozess sehr kurzfristig und schnell erfolgen muss.
https://blog.energiedienst.de/wp-content/uploads/2015/01/Wasserkraftwerk-Rheinfelden.jpgWenn es nur nützen würde, die verbleibenden Atomkraftwerke stillzulegen, wäre es eine tolle Sache mit der Regelung. Aber ich fürchte, dass wir noch lange mit der Atomkraft leben müssen. Frühestens bis zum nächsten GAU……