Deutschland verfehlt im Verkehrssektor sein Klimaschutzziel: Die Emissionen sind nicht gesunken. Verkehrs- und Umweltexperten fordern ein Tempolimit. Wie stehen die Chancen?
Eigentlich gelten die USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. In Sachen Tempolimit läuft Deutschland den Vereinigten Staaten allerdings den Rang ab: Deutschland ist eines der wenigen Länder auf der Welt, in dem es kein generelles Tempolimit gibt. Auf 70 Prozent der Autobahnen gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Im Ausland gilt die deutsche Autobahn daher immer noch als Mythos. Viele träumen davon, einmal in ihrem Leben mit einem schnellen Schlitten über die Autobahn zu fahren. Dabei ist das schnelle Fahren alles andere alles romantisch, im Gegenteil: Raserei ist immer noch einer der Haupt-Unfallfaktoren. Zudem sind Tempolimits generell gut fürs Klima, das haben die neusten Berechnungen des Umweltbundesamt (UBA) ergeben.
Wie ist die Gesetzeslage?
Für die Klima- und Energiepolitik gibt es EU-weite Zielvorgaben, die bis 2030 erreicht werden sollen. Die Senkung der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 ist eines davon. Deutschland und alle anderen EU-Länder müssen alle zwei Jahre einen so genannten „Projektionsbericht“ vorlegen, zuletzt im vergangenen Jahr. Dort schnitt vor allem der Verkehrssektor nicht gut ab: Das Klimaschutzziel musste in diesem Bereich sogar nach oben korrigiert werden. Er ist damit der einzige Sektor in Deutschland, der seine Emissionen im Vergleich zu 1990, nicht reduziert hat. Im Rahmen der EU-Vereinbarungen drohen Deutschland damit erhebliche Strafen. Die Rede ist von 30 bis sogar 60 Milliarden Euro für das Verfehlen der Klimaschutzvorgaben.
„Ein Tempolimit von 120 auf Autobahnen würde etwa eine Reduktion von 2,6 Millionen Tonnen an Treibhausgasen pro Jahr bedeuten.“

Dr. Katrin Dziekan, Fachgebietsleiterin Umwelt und Verkehr beim Umweltbundesamt. Bild: Studioline Photography
Was bringt ein generelles Tempolimit?
Das UBA hat Ende Februar neue Berechnungen vorgelegt, wie viel CO2 mithilfe von Geschwindigkeitsbegrenzungen in Deutschland eingespart werden könnte. Und die möglichen Einsparungen sind beachtlich: „Für Deutschland würden wir uns als Umweltbundesamt ein Tempolimit von 120 auf Autobahnen wünschen – aus Verkehrssicherheits-, aber auch aus Umweltsicht, um das Klima zu schützen. Unsere neusten Berechnungen besagen, dass dies in etwa eine Reduktion von 2,6 Millionen Tonnen an Treibhausgasen pro Jahr bedeuten würde“, erklärt Dr. Katrin Dziekan, Fachgebietsleiterin Umwelt und Verkehr beim Umweltbundesamt, im Interview mit Energiedienst.
Bei einem Tempolimit von 130 läge die Ersparnis bei 1,9 Millionen Tonnen. Bei Tempo 100 würden sogar 5,4 Millionen Tonnen CO2 eingespart. „Das wäre eine deutliche Einsparung, die mit geringen Kosten verbunden und zeitnah umsetzbar wäre“, so Dziekan weiter. Mittel- bis langfristig könnte ein generelles Tempolimit weitere Treibhausgaseinsparungen bringen: Fahrzeuge müssten nicht mehr für hohe Geschwindigkeiten ausgelegt sein, könnten leichter gebaut werden und würden dadurch weniger Treibstoff verbrauchen.
Wie schnell darf man in anderen Ländern fahren?
In den Niederlanden gilt seit Mitte März Tempo 100 auf den Autobahnen – der Umwelt zuliebe. Das Tempolimit betrifft alle Autobahnen, gilt allerdings nur in der Zeit von 6 Uhr morgens bis 19 Uhr abends. Die Niederlande sind ein sehr dicht bebautes Land und haben große Probleme, die Stickoxidwerte einzuhalten – daher diese drastische Maßnahme, die 17 Millionen Euro gekostet hat. In Norwegen sind sogar nur 90 Stundenkilometer erlaubt, in Zypern 110 und auf Malta nur 80 Kilometer pro Stunde. Dort gibt es allerdings auch keine Autobahn, sondern nur Schnellstraßen. In den meisten europäischen Ländern gilt ein Tempolimit von 120 bis 130 Stundenkilometer (siehe Grafik). Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in den USA, variiert das Tempolimit je nach Bundesstaat. Mehr als 121 Stundenkilometer sind aber nicht drin, auf Hawaii sind sogar nur 93 Stundenkilometer erlaubt.

Deutschland ist das einzige Land in Europa ohne generelles Tempolimit. Bild: Statista/Quelle: Statista Recherche
Wer ist für ein Tempolimit?
Das Umweltbundesamt empfiehlt seit vielen Jahren, inzwischen sogar Jahrzehnten, die Einführung eines Tempolimits von 120 Stundenkilometern. War das UBA anfangs damit noch ziemlich allein auf weiter Front, werden die Befürworter eines generellen Tempolimits in Deutschland immer mehr. Verkehrs- und Umweltexperte Axel Friedrich war bis 2008 Abteilungsleiter für die Bereiche Verkehr und Lärm im UBA. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch er eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern für Pkw auf deutschen Autobahnen fordert. Für ihn ist ein generelles Tempolimit längst überfällig.
Die Expertengruppe für Klimaschutz, in der unter anderem die Bahn, die Autobranche, der Städtetag, Umweltschützer und der ADAC vertreten sind, plädiert für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern, um die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Damit treffen die Experten der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ den Nerv der Bevölkerung: Denn eine aktuelle Umfrage des ZDF-Politbarometers (siehe Grafik) hat ergeben, dass 59 Prozent der Deutschen für die Einführung eines Tempolimits von 130 Stundenkilometern sind.

Umfrage: Sind Sie für oder gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen? Quelle: ZDF Politbarometer, © Statista 2020
Wer ist dagegen?
Die Umfrage des ZDF-Politbarometers zeigt auch, dass nur noch sechs Prozent der Deutschen dafür wären, wenn das Tempolimit unter 130 Stundenkilometern liegen würde. Dies zeigt, dass die Einführung eines Tempolimits nach wie vor ein viel und heiß diskutiertes Thema ist und wohl auch bleiben wird.
Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat hatten zuletzt gegen die Einführung eines Tempolimits gestimmt. Die Grünen hatten einen dementsprechenden Entwurf im Bundestag vorgelegt, der aber deutlich abgelehnt wurde: 498 Abgeordnete sprachen sich gegen ein Tempolimit aus, 126 dafür, zudem gab es sieben Enthaltungen. Die CSU hat sogar eine Kampagne gegen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gestartet – eines ihrer Hauptargumente ist der „sehr geringe Umwelteffekt eines Tempolimits“. „Mit einem generellen Tempolimit von 130 km/h könnten lediglich 0,6 Prozent der CO2-Emissionen des Verkehrssektors eingespart werden. Es gibt heute also wesentlich effizientere Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr“, heißt es auf der Kampagnen-Seite der CSU. Sie widerspricht damit den aktuellen Berechnungen des Umweltbundesamtes.
Der ADAC mit seinen rund 21 Millionen Mitgliedern war jahrelang einer der größten Tempolimit-Gegner. Mittlerweile nimmt der Automobilclub eine neutrale Position ein. Um eine detailliertere Meinung abgeben zu können, wünscht sich Gerhard Hellebrand, ADAC Vizepräsident für Verkehr, weitere Untersuchungen zu den Grenzen und Möglichkeiten eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit und den Klimaschutz.

Auf 70 Prozent der deutschen Autobahnen gibt es kein Tempolimit, Bild: Statista/Quelle: Bundesamt für Straßenwesen
Fazit
War ein generelles Tempolimit in Deutschland vor Jahren noch undenkbar, scheint es nun zumindest nicht mehr ausgeschlossen. Zwar wurde ein bundesweites Tempolimit just noch von Bundesrat und Bundestag gestoppt, aber so langsam gehen den Tempolimit-Gegnern die Argumente aus. Neben geringeren CO2-Emissionen sind weniger schwere Unfälle und weniger Lärm weitere Argumente dafür.

Simone Zettier arbeitet als Autorin für diverse Magazine, Webredaktionen und Zeitungen. Die begeisterte Tennisspielerin mit unbändiger Reiselust studierte an der TU Dortmund Journalistik und Amerikanistik und legte ein Auslandssemester an der University of New Orleans/Louisiana ein.
Dass der ADAC früher vehement gegen ein Tempolimit war und sich jetzt neutral verhält, ist mir auch schon aufgefallen. Ich denke mittlerweile sind rund 50% seiner Mitglieder für ein Tempolimit, 50% dagegen. Egal für was der ADAC ist, er würde immer rund die Hälfte seiner Mitglieder verprellen.
Ich persönlich bin für 120 km/h auf der Autobahn. Spart Energie und Emissionen, die Zahl tödlicher Unfälle sinkt, führt zu einer gleichmäßigeren Auslastung und damit weniger Staus. Und ist eine gute Basis für die bereits im Gange befindliche Transformation vom Verbrennerauto zum Elektroauto.
Sehr interessant finde ich den Ansatz von Niederlande. Tempolimit, aber nur zu bestimmten Zeiten. Heisst für mich wenn spät abends wenig Verkehr ist darf ich auch mal mehr Gas geben und muss nicht auf der dreispurigen Autobahn mit 100 „schleichen“. Das fände ich generell ganz gut. Bei uns auf der Autobahn ist auch sehr oft das Limit von 120 und wenn es mal aufgehoben ist lässt der dichte Verkehr auch keine höheren Geschwindigkeiten zu.