Ein kleiner Fisch hat es bei seiner Wanderung durch den Fluss Wiese gar nicht so leicht – könnte man meinen. Denn im Wiesental turbiniert alle paar Kilometer ein Kleinkraftwerk das Flusswasser. Aber wie kommt der Fisch da durch?

Fischschutzanlagen sind ein wichtiger Bestandteil eines umwelt- und fischfreundlichen Wasserkraftwerks. Mit Hilfe von geeigneten Bypässen und Fischauf- und abstiegsanlagen können die Fische das Wehr ungehindert passieren – sogar in beide Richtungen. Solche außenliegenden Anlagen benötigen aber viel Platz. Und sie sind bei Kleinkraftwerken mit großem baulichen Aufwand und hohen Kosten verbunden.

Ein direkt ins Wasserkraftwerk integrierter Fischpass, also eine Turbine, durch welche die Fische hindurchschwimmen können, scheint die optimale Lösung zu sein: die Wasserkraftschnecke, auch genannt Schneckenturbine.

So funktioniert die Wasserkraftschnecke

Die Wasserkraftschnecke ist eine Schraube mit mehreren Windungen, die sich langsam um ihre eigene Achse dreht. Angetrieben vom abfließenden Wasser rotiert sie mit etwa 15 bis 30 Umdrehungen pro Minute. Die Drehbewegung wird in elektrische Energie umgewandelt.

In den großen Kammern zwischen den Windungen entstehen „Wasserpolster“. Dadurch können Fische gefahrlos durch die Turbine flussabwärts wandern.

Ein Grobrechen vor den Wasserkraftschnecken verhindert, dass zu großes Schwemmgut in die Kammern gelangt. Er schützt damit die Wasserkraftschnecke und insbesondere den Menschen davor, einzuschwimmen. Kleineres Schwemmgut, wie zum Beispiel Laub und Blätter, passiert die Schneckenturbine ohne Probleme. Es bietet einen natürlichen Lebensraum für viele kleine Tiere im Wasser und am Ufer.

Von 2017 bis 2019 erbaute die Wasserkraftwerke Maulburg GmbH parallel zur Wiese ein neues Kleinwasserkraftwerk mit einer Schneckenturbine in Maulburg. Die Anlage des Gemeinschaftsunternehmens von Energiedienst und Einrichten Schweigert nutzt das Wasser des Gewerbekanals zur umweltfreundlichen Stromgewinnung.

Mit einer installierten Leistung von 190 Kilowatt liefert die Wasserkraftschnecke in Maulburg seit dem Frühjahr 2019 saubere Energie für rund 300 Drei-Personen-Haushalte.

 

Bereits seit 2011 sind zwei Wasserkraftschnecken in Hausen im Wiesental in Betrieb. Ein Umgehungsgewässer lässt die Fische dort zusätzlich flussaufwärts passieren.

Im Frühjahr 2011 wurden die Wasserkraftschnecken des Kleinkraftwerks in Hausen eingebaut. Die 55 Tonnen schweren Giganten messen eine Länge von 19 Metern und einen Durchmesser von jeweils 3,6 Metern.

 

Problemlos durch die Turbine?

Forscher und Behörden diskutieren, wie fischfreundlich eine Wasserkraftschnecke ist. Alles dreht sich um die Frage: Wie gut nehmen Barbe, Döbel, Bachforelle und Co. die Schneckenturbine während ihrer Wanderung durch den Fluss an? Oder andersherum: Wie sehr setzt ihnen der Abstieg durch die Wasserkraftschnecke zu?

Was bedeutet fischfreundlich in diesem Zusammenhang überhaupt?

Fischfreundlich ist eine Wasserkraftschnecke dann, wenn die Fische sie unbeschadet durchschwimmen können. Sie werden dabei nicht eingeklemmt oder verletzt. Außerdem sind sie nach ihrer Abwanderung durch die Wasserkraftschnecke weder verwirrt, noch haben sie innere Verletzungen erlitten.

Fischfreundlichkeit bedeutet aber auch, dass die Fische die Turbine ohne Stress und Zwang passieren. Wichtig ist, dass sie von der großen Anlage und ihren Geräuschen nicht „verscheucht“ werden und flüchten. Denn das würde sich negativ auf das Populationsverhalten der Fische auswirken.

 

Die Wasserkraftschnecke auf dem Prüfstand

Zwischen 2001 und 2015 untersuchten Forscherteams von Fishtek Consulting, Tombek, Schmalz BOKU und Co. verschiedene Fischarten und ihr Wanderverhalten in der Umgebung von Wasserkraftschnecken. Im Visier der Forscher: der Aal, die Bachforelle, der Gründling, die Plötze und der Lachs.

Sie führten dazu Studien bei Schneckenturbinen in Teilen Deutschlands und Großbritannien durch. Dabei stellten sie fest, dass einige wenige Fische (Döbel und Plötze) Schuppen verloren hatten und teilweise an ihren Flossen verletzt waren.

Verletzungsgefahr: Wenn der Spalt zwischen Windung und Trog (Rinne, in der sich die Schnecke dreht) zu groß ist, können die kleinen Schwimmer dort eingeklemmt werden.

Um mögliche Spätfolgen des Abstiegs zu erkennen, wurden die Fische dann teilweise gehältert.

Was bedeutet Hältern?

Die Forscher fangen abgewanderte Fische mit einer Reuse (Fangnetz) und bewahren sie über einen gewissen Zeitraum in einem Beobachtungsbecken auf. Denn auch wenn den Fischen auf den ersten Blick keine Fleischwunden oder Schuppenverluste anzusehen sind, schließt das nicht aus, dass sie innere Verletzungen erlitten haben. Turbulenten Strömungen können beispielsweise Muskelblutungen oder Wirbelsäulenschäden verursachen.

Mit einem trichterförmigen Netz (Reuse) fangen die Forscher die abgewanderten Fische direkt nach der Wasserkraftschnecke und untersuchen sie dann. Diese Wasserkraftschnecke befindet sich im Fluss Dart in Großbritannien.

 

Die Studien unter der Lupe

Ist die Wasserkraftschnecke jetzt zwangsläufig gefährlich für Fische, weil Forscher bei einigen von ihnen Verletzungen festgestellt haben?

Nein, so einfach ist es nicht. Denn die Verletzungen der Fische können auch ganz andere Ursachen haben. Das haben Tobias Wagner, Jochen Ulrich und Rolf Hezel von Energiedienst beim Prüfen der Studien festgestellt.

Zum einen haben die Forscher damals teilweise nur sehr wenige Fische begutachtet. Ebenso wenig haben sie berücksichtigt, dass manche Arten anfälliger für Verletzungen sind als andere. Denn die Schuppen von Plötze und Blei sitzen beispielsweise nicht so fest wie die von anderen Fischarten.

Zum anderen haben sie die Fische oftmals nur untersucht, nachdem sie bereits durch die Wasserkraftschnecke geschwommen waren. Dadurch lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Fische schon zuvor verletzt waren. Sie könnten zum Beispiel von ihren Fressfeinden angegriffen oder im Rechen einer vorigen Wasserkraftanlage eingeklemmt worden sein.

Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass einige Fische beim Fangvorgang selbst verletzt wurden. So kamen beispielsweise durch das Laub, das im Herbst eine Reuse verstopfe, mehr Fische zu Schaden.

Was macht eine fischfreundliche Wasserkraftschnecke aus?

Wie problemlos Aal, Lachs, Rotauge und Co. die Wasserkraftschnecke passieren können, hängt auch vom Zustand der Schneckenturbine und gesamten Anlage rund herum ab. Ist der Spalt zwischen Einlaufkante und Trog klein genug, damit kein Fisch darin eingeklemmt wird? Dreht sich die Schnecke langsam genug? Wird sie regelmäßig gewartet? Ist die Schnecke tief genug in das Unterwasser eingebaut, damit sich keine Luftblasen ins Wasser einschließen? Sind Ein- und Auslaufbecken so gestaltet, dass es keine Verwirbelungen im Wasser gibt?

In den letzten Jahren hat sich der Stand der Technik geändert, sodass sich Nachbesserungen unkompliziert durchführen lassen. Zum Beispiel dämpft ein Gummi- oder Schaumstoffschutz an der Einlaufkante der Wasserkraftschnecke den Aufprall des Fischs. Im Winter nagt der Frost an der Schneckenturbine und hinterlässt gefährliche, scharfe Grate. Sie können aber durch regelmäßige Wartungen behoben werden.

Ein Gummischutz an der Einlaufkante verringert die Verletzungsgefahr für die abwandernden Fische.

 

Die perfekte Wasserkraftschnecke…

… gibt es nicht von der Stange. Denn nicht alle Fische sind gleich groß, das Wasser fließt nicht in jedem Fluss immer gleich schnell und die Turbine arbeitet nicht zu jeder Tageszeit und Wetterlage mit der gleichen Leistung. Kurz gesagt: Jede Schneckenturbine muss an die Umweltbedingungen und die Fischpopulation vor Ort angepasst werden. Dann kann sie optimal funktionieren und die Fische nehmen sie an.

So zum Beispiel auch bei den Wasserkraftschnecken in Hausen im Wiesental. Jochen Ulrich, Leiter Assetmanagement und Umweltbeauftragter bei Energiedienst, weiß: „Mit dem Bau des Wasserkraftwerks Hausen war es möglich, das bisher nicht durchgängige Wehr über das Umgehungsgewässer für Fische passierbar zu machen und gleichzeitig das Wasser für die Produktion von Ökostrom zu nutzen. Damit erreichen wir die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie an diesem Standort und vernetzen den Fluss in diesem Abschnitt wieder. Wenn eines Tages die Lachse wieder zurückkehren, können sie das Kraftwerk Hausen flussaufwärts und -abwärts passieren.“

Grundsätzlich gilt: Damit keine Fische zu Schaden kommen, muss die Rotationsgeschwindigkeit der Wasserkraftschnecke niedrig gehalten werden, ebenso wie der Spalt zwischen Trog und Windung beziehungsweise Einlaufkante.

Das Ein- und Auslaufbecken muss so gestaltet sein, dass es keine Verwirbelungen und Lufteinschlüsse im Wasser gibt, und die Anlage muss regelmäßig (abhängig von der Wasserführung) gereinigt und gewartet werden. Außerdem muss man die Abstände des Grobrechens vor der Anlage (100 bis 150 Millimeter) an die größte im Gewässer vorkommende Fischart anpassen. Dann können die kleineren Fische die Turbine ungehindert und unbeschadet durchschwimmen.

Die Wasserkraftschnecke bietet einen entscheidenden Vorteil gegenüber einer herkömmlichen Turbine in einem großen Wasserkraftwerk mit Feinrechen. Denn zusammen mit den Fischen passieren auch Laub, Äste und Geschiebe die Turbine. Und so wird das ökologische Gut, das das Gewässer ausmacht, beibehalten und der Fluss bleibt naturnah.

Lebensraum für Hunderte Pflanzen und Tiere: Die Wiese beim Wasserkraftwerk in Maulburg.

 

Dieser Beitrag wurde im August 2017 verfasst und im April 2020 aktualisiert.

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