Dr. Gereon Uerz beleuchtet im Interview die Zukunft der Mobilität: Wann heben Autos ab? Ist das eigene Fahrzeug ein Auslaufmodell? Und bekommen wir die Zukunft, die wir uns verdienen?

 

In Science-Fiction-Filmen fahren die Menschen nicht, sondern sie fliegen. Und das schon seit den 1950er Jahren. Herr Dr. Uerz, wann werden fliegende Autos durch unsere Städte schweben?

In Ländern mit Appetit auf Neues werden Fahrzeuge mit der Fähigkeit zum „Vertical Takeoff and Landing“ (VTOL) – so die gebräuchliche internationale Bezeichnung für „fliegende Autos“ – innerhalb der nächsten fünf Jahre eingesetzt werden. Es existieren bereits mehrere funktionstüchtige Modelle. Viele große Unternehmen, darunter auch Airbus, haben in die Technologie investiert. Einige Städte in den arabischen Emiraten und in Asien stehen bereit, die laufenden Pilotprojekte in die Alltagsrealität zu überführen. Persönlich glaube ich, dass die VTOL in der Güterlogistik als unbemannte Drohnen eine Rolle spielen werden. In der Personenbeförderung bleiben sie eine Randerscheinung.

 

Und wie wird die Zukunft der Personenbeförderung aussehen?

Ich denke und hoffe, dass sich unser Mobilitätsverhalten grundlegend verändert. Wir befinden uns in einer Übergangsphase, weg vom motorisierten Individualverkehr mit eigenem Auto, hin zu einem Mobilitätssystem mit nutzerbezogenen Dienstleistungen. Was sperrig klingt, bedeutet nichts anderes, als dass der Besitz eines PKW künftig weniger attraktiv sein wird. Car-Sharing ist hier der erste Schritt. Der allgemeine Trend zur Service Economy hat die Automobilwirtschaft längst erfasst. Unter dem Schlagwort „Mobility-as-a-Service“ entstehen weltweit verkehrsmittelübergreifende Mobilitätsysteme, in denen der Individualverkehr und das eigene Auto lediglich eine Komponente darstellen, aber längst nicht mehr den Mittelpunkt.

Zukunftsforscher sagt Mobilität ist künftig vernetzt

Die Mobilität der Zukunft ist vernetzt: Künftig werden wir nach Bedarf verschiedene Verkehrsmittel nutzen, um ans Ziel zu kommen.

 

Werden wir in Zukunft also keine Autos mehr besitzen?

Ich hoffe nicht, dass in 30 Jahren individueller Fahrzeugbesitz noch das dominante Modell sein wird. Es ist sozioökonomischer Unsinn, ein so teures Produkt zu besitzen, das 95 % seiner Zeit nicht genutzt wird. Man sollte sich das klarmachen: Wir besitzen kein Fahrzeug, sondern ein Stehzeug. Dennoch sind die Beharrungskräfte groß. Seit über einem Jahrhundert wird in unseren Köpfen das eigene Auto mit Werten wie Freiheit, Flexibilität und Status aufgeladen. Alternative Konzepte sind vorhanden, aber unsere Gefühlswelt ist hier deutlich langsamer. Dennoch hat die Attraktivität von Car-Sharing-, Ride-Hailing- und Ride-Sharing-Diensten in den vergangenen zwei Jahren erkennbar zugenommen.

 

Wird E-Mobilität eine zentrale Rolle spielen?

Die Elektrifizierung, ob nun batterieelektrisch oder mittels Wasserstoff, ist endlich dabei, sich durchzusetzen. Aufgrund strengerer regulatorischer Vorgaben und aufgrund des Aufkommens neuer Wettbewerber, insbesondere Tesla in den USA und chinesischen Herstellern wie BYD, investieren alle Automobilhersteller derzeit massiv in Elektromobilität. Natürlich muss das Energiesystem mitziehen, denn es ist widersinnig, Kohlestrom zu „vertanken“, um „lokale Emissionsfreiheit“ zu erreichen. Die Dekarbonisierung des Verkehrssektors, und zwar in allen Modalitäten – Straße, Luft, Wasser, Schiene – ist eine große Aufgabe. Es fällt uns heute zwar noch schwer, zu glauben, dass sich auch der globale Luftverkehr eines noch fernen Tages elektrisch wird gestalten lassen. Die Elektrifizierung des Luft- und Schiffsverkehrs ist aber angesichts der Wachstumsraten im Tourismussektor und beim Güterverkehr entscheidend, um langfristig tatsächlich die Dekarbonisierung des Verkehrsbereichs zu erreichen.

 

Welche Energiequellen werden wir nutzen?

Wir werden uns noch weiter von den endlichen fossilen Quellen emanzipieren müssen, was auch gelingen kann. Da ich kein Energieexperte bin, möchte ich mich nicht zum Energiemix der Zukunft äußern. Ich glaube aber, dass der Trend zu regenerativ erzeugtem Strom sich verstärken wird und wir einem neuen „elektrischen Zeitalter“ entgegenstreben. Regenerativ erzeugter Wasserstoff wird dabei eine Rolle spielen. Und zwar sowohl in stationären Anwendungen, etwa im Gebäudesektor, als auch in mobilen Anwendungen, also in Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen. Im Bereich von Gebäuden und Quartieren werden Niedrigenergienetze und Kraft-Wärme-Kopplung weiter an Bedeutung gewinnen. Dennoch halte ich den Fokus auf die Primärenergiequellen für nur bedingt hilfreich, da oftmals die Frage nach passiven Maßnahmen in den Hintergrund gerät. Bevor über die Quellen geredet wird, sollte man immer über die Frage des „designing out energy“ nachdenken.

 

Das bedeutet was?

Das Schlagwort des „designing out energy“ bedeutet, dass durch sinnvolle Eingriffe in bestehende Strukturen eine maximale Vermeidung von Energieverbrauch erzielt wird. Darum muss es in Zukunft in erster Linie gehen.

 

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, soll Karl Valentin einmal gesagt haben. Vielleicht auch Mark Twain oder Niels Bohr, so genau, weiß man das nicht. Sie sind Zukunftsforscher. Wie erforscht man so etwas Fragiles wie die Zukunft?

Ich bin kein großer Freund der akademisch institutionalisierten Zukunftsforschung, obgleich dort oft hervorragende Arbeit geleistet wird. Selbstverständlich lassen sich viele langfristige Entwicklungen relativ gut prognostizieren, zum Beispiel im Bereich der Demographie. Dennoch halte ich es mit dem großen französischen Denker Bertrand de Jouvenel, der die „Zukunftsvorausschau“ eher für eine Kunst als eine Wissenschaft hielt. Mir ist es in meiner Arbeit wichtig, einen Beitrag zur positiven Zukunftsgestaltung zu leisten. Dazu gehört es, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Zukunft sich nicht selber herstellt, sondern ein Produkt unseres Handelns ist. Wir bekommen die Zukunft, die wir uns verdienen.

 

Soll heißen?

Das bedeutet, dass Zukunft kontingent ist – sie kann auch ganz anders aussehen, als wir sie uns heute vorstellen, fürchten oder wünschen. Aber gesellschaftlich und unternehmerisch darüber nachzudenken, wie sie sein soll und könnte, und dann zu versuchen, die gewünschten Ergebnisse auch herzustellen – die Zukunft also zu gestalten – das ist für mich der Kern meiner Sicht auf die Zukunft. Mein Verständnis der „Zukunftsvorausschau“.

 

Herr Dr. Uerz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Zukunftsforscher Dr. Gereon Uerz

Dr. Gereon Uerz ist ein international tätiger Experte für Zukunftsforschung und Innovationsmanagement. Seit 2014 verantwortet der Soziologe bei Arup den Bereich „Foresight Consulting“ in Europa. Der weltweit tätige Engineering-Konzern hat mehr als 10.000 Mitarbeiter und mehr als 90 Büros in verschiedenen Ländern der Erde. Davor war Uerz Projektleiter in der Abteilung „Zukunftsforschung und Trendtransfer“ der Volkswagen AG sowie Senior Consultant bei Z_punkt The Foresight Company in Essen und Köln. Uerz lehrte als Gastdozent an verschiedenen europäischen Hochschulen, darunter die Leibniz Universität in Hannover, die European Business School in Oestrich-Winkel und das Instituto Europeo de Design in Turin.

 

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